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Savannah

Savannah

Titel: Savannah
Autoren: Linda Lael Miller
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Wehen ertragen.
    Jetzt, als er sie so unerwartet in der Halle der Station sah, schien sie kleiner und zerbrechlicher zu sein. Und sie schien von innen heraus zu leuchten und zu strahlen.
    »Guten Abend«, grüßte Jacob McCaffrey und nickte dem Arzt kurz zu.
    Pres strich sich mit gespreizten Fingern durch die Haare und erwiderte den Gruß ebenfalls mit einem Nicken. Er war nicht mehr betrunken, aber er spürte immer noch den Alkohol in seinem Körper, den er beim letzten Besäufnis in Choteau in sich hineingekippt hatte. Aber inzwischen war er sich seiner ganzen schäbigen Erscheinung bewusst geworden, die ihm lange Zeit vollkommen gleichgültig gewesen war. Er sehnte sich nach einem Bad und einer Rasur, nach sauberer Kleidung und nach einem Platz in netter Gesellschaft.
    »Ich habe nicht gesehen, dass Sie großes Gepäck bei sich haben, Doc«, bemerkte Jacob, während Savannah nur stumm an einem der langen Tische saß und Pres mit einer gewissen Neugier beobachtete. »Sind Sie nur auf der Durchreise oder wollen Sie sich vielleicht in Springwater nieder lassen?«, fuhr Jacob fort. »Die Stadt blüht und gedeiht. Erst kürzlich hat ein Interessent ein Stück Land gekauft, um hier eine Zeitung zu gründen und einen großen Krämerladen werden wir auch bald bekommen. Der Gouverneur des Montana Territoriums hat mir persönlich versprochen, dass er einen U. S. Marsha ll ernennen wird, damit die Ordnung gewahrt wird. Wir könnten hier einen Arzt gut gebrauchen.«
    Pres kam gerade von der Quelle, der der Ort seinen Namen verdankte. Er hatte zuvor noch einmal kurz nach dem Mädchen und dem Baby gesehen, bevor er sich entschlossen hatte, einen Spaziergang zu machen, um die Beine etwas zu bewegen und seine Nerven etwas zu beruhigen. Soweit es ihn betraf, war Springwater noch weit davon entfernt, eine Stadt zu werden. Es gab zwar diese Kutschstation, ein kleines Schulhaus und einen Saloon, der ganz ordentlich aussah, aber nach dem Geschmack des Docs war das für eine richtige Stadt doch zu wenig. Er sah jedoch keinen Sinn darin, seine Ansicht den anderen mitzuteilen. Stattdessen schüttelte er nur den Kopf und ging zum Herd in der anderen Ecke des Saales.
    »Ich verlasse Springwater mit der nächsten Kutsche«, erklärte er, nahm einen Emaillebecher aus dem Regal und
    schenkte sich aus einem Topf einen großen Schluck schwarzen Kaffee ein. Wenn er den richtigen Ort für sich gefunden hätte, würde er ihn schon erkennen. Dort würde er sich niederlassen, aber nicht um zu arbeiten, sondern um sich langsam zu Tode zu saufen und darüber die Dämonen zu vergessen, die ihn so quälten. Er hatte mit der Sauferei schon vor einer ganzen Weile angefangen und wie es schien, war es nur eine Frage der Zeit, wann er sein Ziel erreichen würde.
    Er drehte sich mit der Tasse in der Hand um und hob sie zum Mund, um zu trinken. Dabei bemerkte er Savannah, die ihn anstarrte. In diesem Licht konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen und sie wandte schnell ihren Blick ab. Aber doch nicht schnell genug. »Ich bin ohnehin nicht der richtige Doc für euch«, fühlte er sich bemüßigt zu erklären. Darüber wunderte Pres sich selbst, denn er hatte sich schon lange abgewöhnt, seinen Mitmenschen irgendwas über sich zu erzählen, da er der Ansicht war, dass seine Vorlieben und seine Probleme niemanden etwas angingen und allein seine Sache waren.
    Jacob McCaffrey hob eine buschige dunkle Augenbraue. »Ehrlich gesagt sind wir hier nicht sonderlich wählerisch«, meinte er. »Wenn Sie also besser mit Pferden umgehen können als mit Menschen, ist das auch in Ordnung.«
    Bei dieser Vorstellung musste Pres lachen, aber diese Reaktion war so überraschend und ungewöhnlich für ihn, dass nur ein hohles Krächzen aus seiner Kehle kam. Diesmal glaubte er eine Spur von Verärgerung in Savannahs Augen zu erkennen. Es erfüllte ihn mit einer gewissen Befriedigung, dass sie sich über ihn ärgerte, auch wenn er sich diese Befriedigung nicht erklären konnte. »Ich bin - oder besser gesagt - ich war Chirurg«, sagte er und setzte sich Savannah gegenüber, während Jacob aufstand und sich wieder mit dem Rücken an den Kamin lehnte.
    »Sie waren Chirurg?«, fragte Savannah schließlich leise, aber ohne jede Spur von Mitleid in der Stimme. »Und was ist dann passiert?«
    Pres sah den ganzen Schrecken wieder deutlich vor Augen. Das viele Blut, die zersplitterten Knochen und die zerfetzten Leiber. Er hörte die Kanonenschläge, er hörte die Schüsse und er
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