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Savannah

Savannah

Titel: Savannah
Autoren: Linda Lael Miller
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von der freundlichen Hilfsbereitschaft des großen, ernsten Mannes gerührt war. »Für Wasser und Seife habe ich auch kein Geld. Ich besitze nämlich nur noch fünf Cent und ein Kutschbillett auf meinen Namen - und beides brauche ich.«
    »Ich habe auch nicht angenommen, dass Sie gut bei Kasse sind«, erwiderte Jacob, der offensichtlich ein Meister in der Kunst der Untertreibung war. »Wasser und Seife haben wir genug und der Raum steht ja ohnehin leer. Da können Sie ihn doch auch benutzen, bevor Sie in der Scheune auf der nackten Erde schlafen. Ich hole Ihnen jetzt erst mal das Wasser und Sie machen es sich hier gemütlich.«
    Gemütlich! Wann hatte er diesen Zustand eigentlich zuletzt erlebt? Ja, zu Hause in Maine, als er das Essen seiner Mutter gegessen hatte, seinen Vater auf seinen Runden begleitet hatte und er in sauberer Bettwäsche geschlafen hatte. Das war alles schon so lange her und schien ihm so unwirklich zu sein, dass Pres das Gefühl hatte, sich eher an das Leben eines Fremden zu erinnern als an seine eigene glückliche Jugendzeit.
    Während er so dastand und nachdachte, musste Jacob McCaffrey leise das Zimmer verlassen haben, wobei er die Tür hinter sich zugezogen hatte. Pres ging zum Fenster. Seine Hände zitterten so stark, dass er sich am Fensterrahmen festhalten musste, und er verspürte einen Stich in der Brust, als er in die mondlose Dunkelheit blickte. Dieses schwarze Nichts war die passende Metapher für den Zustand seiner eigenen Seele.
    Er fuhr sich mit der Hand über seine stacheligen Bartstoppeln. Es war schon eine Ironie des Schicksals, dass er glaubte, er würde verrückt werden, wenn er jetzt nicht sofort ein Glas Whiskey trinken würde. Er hasste das Zeug wirklich, aber es gab immer wieder Augenblicke wie diesen gerade, wo er nach dem Stoff gierte, obwohl der Alkohol Kehle und Magen wie flüssiger Stahl verbrannte.
    Ohne den Stoff würde allerdings nicht die geringste Chance bestehen, dass er die Augen schließen und schlafen würde. Ohne die Hilfe von Whiskey oder Laudanum hatte er keine Nacht mehr geschlafen, seit er sich im Sommer 1862 freiwillig zur Armee gemeldet hatte. Damals war er voll mit Idealen frisch vom medizinischen College gekommen und er hatte an seine Fähigkeit geglaubt, dass er die Welt würde retten können. Zum Glück kam in diesem Moment Jacob zurück und unterbrach Pres' trübe Gedanken. Jacob brachte einen runden Badetrog, der mit Kupfer ausgeschlagen war. Dann begann er den Trog mit Tobys Hilfe zu füllen. Es gab Handtücher, ein Stück Kernseife, einen Extra-Eimer zum Abduschen, ein Rasiermesser und das dazugehörige lederne Schleifband. Auch sein Versprechen, dem Arzt frische Kleidung zu besorgen, hielt der Stationsmeister ein — ein weites helles Hemd, das durchs Tragen ganz weich geworden war, und eine grobe Hose, die schwarz wie seine eigene Hose war.
    »Das sind Sachen von Will oder Wesley«, erklärte Jacob ruhig. »Miss June hat viele Jahre darauf gewartet, dass unsere Jungs vielleicht doch noch eines Tages zurückkommen würden. Sie hatte gehofft, dass die Nachricht von ihrem Tod falsch sein würde, und deshalb viele ihrer Sachen aufgehoben. Aber unsere Jungen werden das nicht mehr brauchen.«
    Pres spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte. Sie war völlig ausgedörrt und er hätte wer-weiß-was für einen Schluck Whiskey gegebe n. Vielleicht war er den McCaf frey-Jungens sogar einmal begegnet, vielleicht hatte er sie auch behandelt, denn er hatte sich um die Verwundeten beider Seiten gekümmert, als er von Schlachtfeld zu Schlachtfeld gezogen war, von einem Feldlazarett zum nächsten. Aber nie hatte er den Menschen wirklich helfen können — so sehr er sich darum auch bemüht hatte — und schließlich hatte er erkannt, dass er kein Arzt, sondern ein Versager war.
    »Danke«, murmelte er und nahm die Kleidung in Empfang. »Ich sollte vielleicht noch mal einen Blick auf die Mutter und das Baby werfen.«
    »Miss Savannah ist gerade bei den beiden«, erwiderte Jacob ruhig. »Nehmen Sie Ihr Bad und versuchen Sie etwas zu schlafen. Die nächste Kutsche verlässt Springwater übrigens um die Mittagszeit.«
    Pres nickte und der ältere Mann verschwand mit dem Jungen. Pres schälte sich aus seiner Kleidung, die vor Dreck starrte. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal die Kleidung gewechselt hatte, und schon gar nicht, wann er zum letzten Mal ein Bad genommen hatte. Vorsichtig stieg er in den Trog, der voll mit Wasser war, das
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