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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse
Autoren: Ma2
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nach fünf, sechs Jahren wiederkommen und da weitermachen, wo man aufgehört hat.«
    »Sie fühlen sich hier also ganz wohl?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Aber ich halte es aus.«
    »Werden Sie von den anderen Insassen gut behandelt?«
    »O ja. Ich bin wegen Mordes verurteilt. Da wird man respektiert.«
    »Haben Sie zu jemandem näheren Kontakt?«
    »Nein, ich habe nie viel Umgang mit Menschen, weder im Gefängnis noch draußen.«
    »Aber es muß doch hart für Sie sein, von Bernhard getrennt zu sein. Soweit ich es verstanden habe, stehen Sie sich sehr nah.«
    Helena nickte, und zum ersten Mal sah Yvonne etwas Weiches, Gefühlvolles über ihr Gesicht huschen. Sie zog den Reißverschluß der Joggingjacke herunter und holte ein Medaillon heraus, das sie an einer Kette um den Hals trug.
    »Ich trage immer sein Foto bei mir«, sagte sie.
    Sie umschloß das Medaillon mit der Hand und hielt es ein paar Sekunden fest. Ohne es zu öffnen, steckte sie es dann schnell wieder unter die Joggingjacke. Die Geste hatte etwas Gewohnheitsmäßiges, Rituelles, Yvonne mußte an Rosenkränze und Kruzifixe denken. Sie sagte:
    »Die Strafe erschöpft sich ja nicht in einer praktischen Frage. Sie ist ja auch eine Möglichkeit … für seine Tat zu sühnen, wie es so heißt. Und das kann Bernhard nicht tun. Sie haben ihm diese Möglichkeit genommen. Sie haben ihn gar nicht entscheiden lassen. Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?«
    Helena schwieg eine Weile und sagte dann: »Sie kennen Bernhard ja ein wenig. Können Sie sich ihn in einer geschlossenen Anstalt vorstellen, mit Drogendealern, Vergewaltigern und gedungenen Mördern? Mit Männern, die von Kindheit an in einer rohen und brutalen Welt gelebt haben und deren einzige Lebensregel das Recht des Stärkeren auf Kosten des Schwächeren ist? Was glauben Sie, wie würde Bernhard in einer solchen Umgebung zurechtkommen?«
    »Das weiß ich nicht. Und das wissen Sie nicht, und er auch nicht, bevor er es nicht erlebt hat.«
    Helena beugte sich über den Tisch und sagte leise und scharf:
    »Es würde ihn zerstören.«
    »Wieso sind Sie sich da so sicher? Sie haben doch auch einen Weg gefunden, hier drinnen zurechtzukommen. Warum sollte Bernhard das nicht schaffen? Er ist vielleicht gar nicht so schwach, wie Sie denken.«
    Helena betrachtete sie mit einem müden, nachsichtigen Blick, als ob sie nun sicher wäre, daß Yvonne ein hoffnungsloser Fall ist.
    »Sie haben in Ihrer Beziehung wohl sehr festgelegte Rollen«, fuhr Yvonne fort. »Das hat sicher gut gepaßt, als Sie sich kennenlernten, als Krankenschwester und Patient. Aber meinen Sie nicht, daß es an der Zeit wäre, das zu ändern? Bernhard hat mir erzählt, daß Ihre Mutter kränklich und Ihr Vater Alkoholiker war. Ich hatte eine psychisch kranke Mutter. Man wird sehr stark, wenn man solche Eltern hat. Man muß, oder? Aber ich glaube, manchmal ist man stärker, als einem guttut. Man sollte versuchen, ein bißchen schwächer zu sein. Das ist nicht leicht nach so vielen Jahren. Das erfordert Übung. Man muß sein Schwachsein üben. Und Bernhard muß sein Starksein üben. Vielleicht ist er jetzt an der Reihe mit dem Starksein.«
    »Es gibt Menschen, die werden durch Schwierigkeiten stark. Sie und ich, wir sind solche Menschen, Nora. Und es gibt Menschen, die zerbrechen und gehen unter. Mein Bruder war so. Und Bernhard ist so. Ich weiß es, ich kenne ihn sehr gut.«
    »Sie haben seit dem Mord nicht in Bernhards Nähe gelebt. Ich war in seiner Nähe. Und ich weiß, daß seine Schuldgefühle ihn quälen. Er hat schreckliche Angstzustände. Einmal mußte ich ihn in die Notaufnahme fahren, weil er nicht mehr atmen konnte. Sie haben ihm eine schwere Last auf die Schultern gelegt, Helena. Die vielleicht schwerer wiegt als eine Gefängnisstrafe. Er hat ja nicht nur die Schuldgefühle für das begangene Verbrechen. Er fühlt sich auch Ihnen gegenüber schuldig, weil Sie seine Strafe absitzen. Aber das mögen Märtyrer ja, nicht wahr? Wie sehr sie auch leiden, es gibt immer einen, der noch mehr leidet: der, der das Leiden verursacht hat.«
    »Noch Kaffee?«
    Yvonne schüttelte den Kopf, Helena schenkte sich ein und sagte dann ruhig und sachlich:
    »Sie verstehen das nicht. Sie werden es auch nie verstehen. Bernhard und ich führen eine sehr spezielle Ehe.«
    »Das kann man wohl sagen. Sie durften ihn jahrelang mit einer anderen Frau teilen«, sagte Yvonne spitz.
    »Sie hat ihm nichts bedeutet.«
    »So? Den Eindruck hatte ich nicht. Er schien
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