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Sarum

Sarum

Titel: Sarum
Autoren: Edward Rutherfurd
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aufgeregt sei, aber als sie in die High Street einbogen, bemerkte sie, daß sie aus lauter Zerstreutheit ihre Handtasche im Wagen vergessen hatte. Sie zwang sich zur Ruhe. Es war eine große Überraschung für sie gewesen, als sie nach all den Jahren die Nachricht erhielt, daß er nach England kommen werde. Sie waren nach dem Krieg in Verbindung geblieben und schrieben sich ein Jahr lang regelmäßig, bis sie heiratete. Dann gab es die üblichen Weihnachtskarten. Sie wußte natürlich, daß er Direktor einer Baufirma in Pennsylvania war und fünf Kinder hatte. Nun sollte Maggie England kennenlernen. Als sie eben das Kathedralgelände betraten, wandte Maggie sich plötzlich an Patricia.
    »Sie sind doch Papis Freundin gewesen, oder nicht?« fragte sie so laut, daß der Polizist neben ihnen es hören konnte. Zu ihrem Entsetzen wurde Patricia knallrot.
    Adam kicherte entschuldigend. »Tut mir leid. Maggie ist ziemlich geradeheraus.« Er wechselte rasch das Thema. »Erzähle uns etwas über den königlichen Besuch. Du sagtest, er habe mit der Kathedrale zu tun.«
    »Ja, das stimmt.« Sie sah liebevoll an dem hohen Bauwerk empor. »Wenn nicht bald etwas unternommen wird, stürzt die Turmspitze demnächst herunter.«
    So war es tatsächlich. Durch die Jahrhunderte, vor allem durch die wachsenden Umweltschäden des zwanzigsten Jahrhunderts, hatte der Chilmark-Stein speziell an der Westfassade und am Turmhelm schwer gelitten.
    Selbst Maggie schien davon tief beeindruckt. »Sie meinen, die ganze Angelegenheit könnte herunterkommen?«
    »Ich fürchte, ja, wenn wir sie nicht schnell in Ordnung bringen.«
    »Und dafür dieser Besuch?«
    »Natürlich. Wir brauchen sechseinhalb Millionen Pfund, und wir haben sie nicht. Der Prince of Wales kommt her und startet die Hilfsaktion.« Adam überlegte. »Das ist eine Menge Geld, aber ich könnte mir denken, daß ihr es ohne Schwierigkeiten zusammenbekommt.«
    »Wir können in der Diözese Sarum eine Million aufbringen, vielleicht etwas mehr, aber dann wird es problematisch.« Shockley lachte. Wenn er an die Ausgaben so mancher amerikanischer Stiftungen dachte, war das gar keine so große Summe. Maggie sah zweifelnd drein. »Ist es wirklich nicht gefährlich, hineinzugehen?«
    »Bestimmt nicht. Alles ist genau untersucht worden.« Als sie die Kirche betraten, hörte sie Adam seiner Tochter zuflüstern: »Siehst du, was ich dir gesagt habe? Das reinste Museum.« Patricia runzelte nachdenklich die Stirn. Das war natürlich als Kompliment für Sarum gemeint. Und sicher war es für jeden Außenstehenden, wenn er in die alte Stadt und vor allem auf das stille Kathedralgelände kam, als sei die Zeit hier stehengeblieben.
    Und doch war etwas an dieser Behauptung grundsätzlich falsch. Sie überlegte angestrengt, was es sein könnte.
    Sie saßen alle zusammen, hatten gute Plätze etwa in der Mitte der Bankreihen. Patricia kannte viele Menschen hier. Vor ihr saß Osbert Mason.
    Zur allgemeinen Überraschung hatte der verstorbene John Mason, der fünf Jahre nach dem Krieg endlich heiratete, einen Sohn gezeugt, der viel kleiner war als er selbst. Allerdings war die stille Bibliothekarin aus London sehr klein – aber trotzdem. Armer John! Er hatte seine ganze Hoffnung darauf gesetzt, daß der Sohn sein Nachfolger in seinem Anwaltsbüro werden würde. Doch der junge Osbert hatte keinerlei Ambitionen für den Anwaltsberuf; es war schon schwierig genug, ihn zum Schulabschluß zu bewegen, nicht weil er dumm war, sondern wegen seiner großen Neigung zum Handwerklichen. Sie war so stark, daß er Schreiner wurde; und nun hatte er eine kleine, doch gutgehende Werkstatt für Möbel, die er auf Bestellung anfertigte – er bekam auch Aufträge von außerhalb Avonsfords. Er war jetzt fünfunddreißig und hatte sich schon einen Namen gemacht.
    Trotzdem war das eine Enttäuschung für seinen Vater, außerdem auch verwunderlich, da er in seiner Familie nie eine handwerkliche Begabung festgestellt hatte.
    Pünktlich auf die Minute senkte sich der blaurote Hubschrauber, begleitet von den Blicken der Menge und den Fernsehkameras, aus dem nachmittäglichen Frühlingshimmel herab, und gleich darauf begab sich der Prince of Wales in die Kathedrale, wo er seine Ansprache halten würde. Eine ungeheure Arbeit mußte geleistet werden. Als erster und wichtigster Schritt mußte innerhalb des konischen Turmhelms eine oktogonale Verklammerung angebracht werden, ein Rahmenwerk, das das Gewicht des Turms an seiner Schwachstelle
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