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Sarg niemals nie

Sarg niemals nie

Titel: Sarg niemals nie
Autoren: Dan Wells
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hinaus!«
    »Könnten Sie …«, murmelte Gustav.
    »Natürlich, natürlich – öffnet die Zelle!« Schlüssel klirrten, Metallscharniere quietschten, Füße scharrten, dann wurde mein Sarg hin und her geschaukelt und endlich ganz hochgehoben. Ich hielt den Mund fest geschlossen und stemmte mich gegen die Seitenwände. Es kostete mich einige Überwindung, bei jeder Richtungsänderung still zu bleiben, denn ich hatte jedes Mal die Befürchtung, auf den harten Steinboden zu krachen. Es ruckte und rumpelte, auf der Treppe wurde ich hochkant gestellt, aber ich schwieg beharrlich, bis ich endlich spürte, dass die Sonne das Holz erwärmte, und wusste, dass ich draußen war.
    Die Träger setzten mich ab, und ihre Schritte entfernten sich. Ein paar Minuten später legten sie den Geräuschen nach eine schwere Last neben mir ab, bei der es sich nur um den Leichnam des Blutigen Toby handeln konnte. Als Gustav aufstieg, schwankte der Wagen, dann hörte ich das Klicken der Hufeisen, als sich das Maultierin Bewegung setzte und unsere Reise begann. Im Sarg wurde es in der Sonne recht warm, und die Befreiung erzeugte in mir eine ruhige, friedliche Stimmung. Bald dämmerte ich ein – es war nicht der düstere Schlaf eines Menschen, der lebendig in einem Sarg liegt, sondern der warme, gemütliche Schlummer, der mit echter Zufriedenheit einhergeht. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich schlief, denn in diesem behaglichen, benommenen Schwebezustand vergaß ich ganz und gar die Zeit. Allerdings weiß ich noch genau, wie es endete. Ich erwachte jäh, als eine Schaufel voll Erde über meinem Gesicht auf dem Holz landete.
    »Gustav!«, rief ich.
    »Aaaah!«
    Ich riss mich aus der Benommenheit und nahm zu meinem Entsetzen auf einmal Kälte und meine verkrampften Muskeln wahr. Die Umgebung wurde mir wieder bewusst, ich erinnerte mich, warum ich mich dort befand, wo ich mich gerade befand, und biss mir prompt auf die Zunge, um nicht noch lauter zu schreien. Hatte ich mich verraten?
    »Federico? Sind Sie es?«
    »Kann ich sprechen, ohne dass es jemand hört?«, flüsterte ich.
    »Weit und breit gibt es niemanden außer mir.«
    »Natürlich bin ich es, Sie Dummkopf!«, rief ich. »Was denken Sie denn, in welchem Sarg ich stecke?«
    »Ich war ganz sicher, dass Sie in dem anderen liegen.«
    »Der andere wiegt doppelt so viel wie ich«, erwiderte ich. »Und jetzt holen Sie mich hier heraus! Können Sie nicht wenigstens anklopfen, ehe Sie mich beerdigen?«
    »Ich war doch ganz sicher, dass ich …«
    »Welch ein Glück, dass ich den fähigsten Totengräber von ganz England angeheuert habe! Haben Sie Kleidung für mich dabei?«
    »Ich weiß nicht, ob sie passt, aber …«
    »Schon gut. Und die Kutsche?«
    »Die erwartet Sie hinter dem Wald an der Straße.«
    »Ausgezeichnet. Holen Sie mich heraus!«
    »Aber natürlich, natürlich.« Sein Akzent war so stark, wie es bei Zigeunern eben der Fall ist, auch wenn ich nicht weiß, aus welchem Land sie eigentlich kommen. Jedenfalls hörte ich durch den Deckel hindurch, wie er die Erde fortkratzte. Dann durchtrennte er das Seil mit einem Messer, setzte schließlich ein Brecheisen an und suchte nach einem der Nägel. »Es tut mir leid, dass ich Erde auf Sie geworfen habe, Federico. Es tut mir wirklich leid, aber ich konnte doch nicht wissen …«
    Quietschend lösten sich die Nägel aus dem Holz, und der Sargdeckel öffnete sich einen Spaltbreit. Schwaches Licht fiel zu mir herein. Gustavs Beine ragten unmittelbar neben mir auf, genau zwischen dem Sarg und der Grabwand, während er den Deckel mit Bewegungen anhob, die geradezu zärtlich anmuteten.
    »Ich darf die Bretter nicht zu stark verbiegen«, erklärte er kichernd, während er die Finger in die Lücke schob. Er hatte dicke Schwielen an den Fingerspitzen, und sein Lachen klang krank und alt. Ich wollte den Deckel von innen aufdrücken, um ihm zu helfen, doch meine Arme waren verkrampft und verweigerten mir den Dienst.
    »Sobald Sie mich herausgezogen haben, stecke ich Sie in den Sarg und nagle ihn zu, nur damit Sie einmal am eigenen Leib verspüren, wie sich das anfühlt«, versprach ich ihm.
    »Ich frage mich schon lange, wie sich das anfühlt«, antwortete Gustav ganz gelassen. »Wenn man so viel Zeit außerhalb von Särgen verbringt, wird man natürlich neugierig, wie es drinnen aussieht.«
    »Sehr dunkel ist es«, erklärte ich ihm. »Und die Leute begraben Sie in einem Loch in der Erde. Geht es nicht schneller?«
    »Tut mir leid, Federico, aber so
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