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Sarahs Moerder

Sarahs Moerder

Titel: Sarahs Moerder
Autoren: Andrej Longo
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fragte ich. »Ihr Vater hat gesagt, Sie wären nicht in Neapel.«
    Das brachte ihn einen Moment lang aus der Fassung, er fing sich aber gleich wieder.
    »Papà ist verwirrt. Wer weiß, was er gedacht hat.«
    »Aber wenn Sie zuhause waren, werden Sie doch irgendwas gehört haben«, sagte der Commissario.
    »In der Tat. Um ungefähr Viertel nach drei, zwei Pfiffe von der Straße.«
    »Haben Sie diese Pfiffe vorher schon mal gehört?«
    »Öfters. Das war der Freund von dem Mädchen, der pfiff so. Alle im Haus wussten das.«
    »Sonst noch was?« Der Commissario ließ nicht locker.
    Der Ingenieur zog seine Jacke aus und legte sie über den Stuhl.
    »Eine halbe Stunde später habe ich jemanden schreien hören, Hilferufe. Es war eine Frauenstimme, wahrscheinlich das Mädchen.«
    »Und diese Hilferufe, kamen die von drinnen oder draußen?«
    »Auf jeden Fall von drinnen. Das habe ich dann noch zwei- oder dreimal gehört. Kurz danach kam dann so etwas wie ein Schlag.«
    Die Sache mit dem Schlag war neu.
    »Was für ein Schlag?«, fragte der Commissario.
    »Hm, keine Ahnung. Als ob was die Treppe runterfällt.«
    »Etwas oder jemand?«
    »Ja, hätte auch ein Mensch sein können.«
    Er dachte einen Augenblick lang nach.
    »Und dann habe ich auch jemanden weinen gehört, wenn ich mich nicht irre.«
    Bis dahin war ich still gewesen, aber als der Ingenieur all das erzählt hatte, rastete ich aus.
    »Was? Sie hören das Mädchen um Hilfe rufen, hören, wie sie die Treppe runterfällt und weint und gehen nicht raus, um nachzusehen?«
    Der Ingenieur zuckte mit den Schultern.
    »Wissen Sie, ich habe meinen Vater hier. Man merkt es ihm nicht an, aber er ist sehr krank. Ich war mit ihm beschäftigt.«
    »Sie wollten es dem Mädchen doch nicht etwa wegen der Pennerin heimzahlen, Ingegnere?«, fragte ich.
    Er lächelte schief, kniff die Augen zusammen und starrte mich an, als wollte er mich erschießen.
    »Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten«, sagte er.
    Sein Ton war so kalt, dass ich einen Schreck bekam und unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Auch der Commissario erstarrte und wusste nicht, was er sagen sollte.
    »So, und jetzt muss ich arbeiten, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte der Ingenieur. Er zog die Jacke über und ging zur Wohnungstür.
    Ich hoffte, der Commissario würde was sagen, irgendwas. Nichts. Beim Rausgehen, als er uns herausfordernd anschaute, als wollte er uns verarschen, packte ich ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Wand. Da ließ er zwar die Faxen, aber der Commissario zog mich schweigend weg, und wir verschwanden, während der Ingenieur zeterte, dass er uns verklagen würde.
    Im Auto schwiegen wir, bis wir im Kommissariat angekommen waren.
    »Commissario, hätten Sie den nicht verhaften können?«, fragte ich beim Aussteigen.
    Er seufzte.
    »Hol zwei Kaffee, die können wir jetzt brauchen.«
    »Ja, mach ich.«
    »Nimm Eiskaffee, es ist heiß genug.«
    Ich steckte die fünftausend Lire ein, die er mir gab, und machte mich auf den Weg.

24.
    Die Bar, in die wir normalerweise gingen, war zu. An den Rollläden hing ein Schild: »Wegen Ferien geschlossen«. Drunter hatte jemand mit Filzstift »Werdet schön braun!« geschrieben.
    Ich machte mich auf die Suche nach einer anderen Bar, während mir von der Sonne das Hirn brutzelte und die Stimme vom Ingenieur immer noch im Kopf rumging. Mit manchen Leuten kannst du nicht reden, denen musst du einfach nur aufs Maul hauen und basta. Und richtig glauben tat ich ihm auch nicht. Erst mal hatte er sich mit Sarah gestritten. Und dann stimmte es nicht, dass er nicht in Neapel gewesen war. Irgendwie musste der Ingenieur was damit zu tun haben. Wenn ich mit dem Kaffee zurückkam, würde ich das dem Commissario sagen.
    Ich ging zu der Bar in Santa Lucia, aber die hatte auch zu.
    Schließlich latschte ich wegen dem Kaffee bis zur Piazza Trieste e Trento. Der Platz war menschenleer, aber wenigstens hatte das Gambrinus auf. Zwei Touristen mit Sonnenbrand tranken an einem der Tische ihr Bier. Während ich auf den Kaffee wartete, kam die Pennerin vorbei, die uns von Sarah erzählt hatte. Sie schob einen Wagen vor sich her, der mit Kisten vollgestopft war, und als sie mich sah, wusste ich nicht, ob sie mich erkannte oder nicht. Sie fragte mich nach einer Zigarette. Ich gab ihr das ganze Päckchen und das Wechselgeld vom Kaffee. Sie stopfte sich Geld und Zigaretten in den Ausschnitt und schob ihren Wagen weiter.
    Auf dem Rückweg machte ich einen Umweg unter
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