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Sand & Blut

Sand & Blut

Titel: Sand & Blut
Autoren: Xander Morus , Isabell Schmitt-Egner
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schafft. Oder als natürliche Auslese, falls du eher darwinistisch denkst! Der Starke und Schlaue überlebt!«
    Doreen wimmerte und machte unrhythmische Schwimmbewegungen. Und Meike bekam eine Ahnung, wie es um Doreens Chancen im evolutionären Sinn bestellt war.
    »Wer kommt heil nach Hause, obwohl er nichts mehr sieht vor lauter Tränen? Melanie nicht«, sagte Vincent durch sein Megaphon. Eine dreieckige Flosse tauchte einige Meter hinter Doreen auf und glitt wieder unter Wasser. Meike glaubte, den großen Schatten im hellen Wasser davon schwimmen zu sehen. Sie warf sich herum und kraulte los.
    »Schwimm, Doreen!«, schrie sie. Ein Wasserplatschen rechts von ihr. Panik durchflutete ihren Körper und noch etwas anderes. Als Kind hatte sie heimlich »Der weiße Hai« gelesen (und später Angst gehabt, Weinflaschen aus dem Keller zu holen, obwohl es im Keller keinen Hai geben konnte). Das Buch hatte bei ihrer Oma im Regal gestanden und ganz normal ausgesehen. Eine Readers Digest Ausgabe in rot und gold. Am Anfang schwamm dort ein Mädchen im Meer und dann wurde sie von dem Hai unter Wasser gerissen.
    Adrenalin schoss durch ihren Körper und trieb sie an, schneller zu schwimmen ...
    So ähnlich stand es in dem Buch und sie hatte auch später immer wieder daran gedacht. Und jetzt kannte sie dieses Gefühl genau. Unecht und doch nicht. Adrenalin trieb sie an und sie schoss nach vorne, auf das rettende Ufer zu. Doreen hinter ihr kreischte, aber es klang eher nach Angst, als nach Schmerz. Till und Konrad standen reglos auf dem weißen Sand. Sie rührten sich nicht, eilten nicht ans Ufer, um ihnen zu helfen und stürzten sich schon gar nicht ins Wasser, um den heldenhaften Retter zu spielen. Meike ertastete den Grund und arbeitete sich nach vorne. Sie stolperte, fiel, und schlug der Länge nach hin. Der weiße Sand fing sie auf. Sie war gerettet.
    Till und Konrad beachteten sie nicht. Sie schauten aufs Wasser, glotzten wie Schaulustige, die mit ihrem Gestarre eine Unfallstelle für die Helfer blockierten. Meike drehte sich um. Es waren zwei Haie, die, angelockt vom Duft des Blutes, Doreen umkreisten. Nach den Rückenflossen zu urteilen, musste einer davon ziemlich groß sein. Was Doreen tat, konnte man vom Ufer aus nicht erkennen. Man sah ihren Kopf, der sich irgendwie bewegte. Dann tauchte ihr Gesicht unter. Eine graue Schwanzflosse schlug kurz auf die Wasseroberfläche. Ein riesiger dunkler Körper bog sich und präsentierte kurz einen hellen Unterbauch. Der Raubfisch schüttelte etwas, wie eine Katze, die eine Maus erwischt hatte. Das Wasser um die Stelle, wo Doreen versunken war, wirkte rötlich, aber das konnte auch Einbildung sein.
    Unecht, alles unecht. Nicht echt, nicht echt, keiner da, keiner da ...
    Keiner von ihnen hatte je üben können, mit solch einer Situation umzugehen. Solche Dinge passierten nicht. Studienkollegen wurden nicht von Haien gefressen, einfach so, am helllichten Tag. Doreen tauchte wieder auf und machte eine schlappe Bewegung mit dem Arm. Anscheinend verstand sie gar nicht, was gerade mit ihr passierte.
    Besser so, dachte Meike. Keiner da, keiner da ...
    Hinter ihr hörte sie ein Stöhnen. Sie sah Till, der seitlich in den Sand gesunken war und Konny, der beinahe fasziniert zu Doreen hinüber schaute. Meike wandte den Blick ab und auch das kam ihr falsch vor. Sie fühlte sich wie gelähmt, konnte nicht mal schreien oder weinen. Und was hätte das auch genützt? Was war das richtige Verhalten? Wahrscheinlich gab es keins. Es gab kein Richtig mehr. Es gab keine Gesetze mehr, weil alles falsch und unecht war. Der kindliche Anspruch, dass das Leben sorgsam mit einem umzugehen hatte, war ausgehebelt worden. Und Vincent? Sie riskierte einen Blick zu dem weißen Boot, das auf den sanften Wellen trieb. Vincent war nicht zu sehen. Er stand nicht an der Reling, um genüsslich die Haie zu beobachten. Er ergötzte sich nicht an dem Schauspiel, wie sie es erwartet hatte.
    Wie ich es von einem Psychopathen erwartet hatte ...
    Till stöhnte leise. Eine kleine Welle strich ihr über den Fuß und für einen Moment glaubte Meike, dass sie nicht mehr so klartürkis aussah wie vorher. Eher rosa. Aber auch das konnte man sich leicht einbilden. Trotzdem zog sie ihre Füße aus dem Wasser und kroch dann den trockenen Sand hinauf. Sie spürte, dass sie jetzt ein bisschen weinen konnte und das tat sie dann auch.
     
    Es war deutlich kühler geworden und eine leichte Brise kam auf. In den letzten Stunden hatte Vincent
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