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Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus
Autoren: Simon Toyne
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auf die Wand des Flurs. Die Untersuchungsräume füllten sich schnell, und die Frau schien zumindest nicht zu bluten. Der Sanitäter lenkte die Trage auf die Seite und rastete die Bremse ein.
    »Und? Was für eine Geschichte haben wir hier?«, fragte Dr. Kulin. Vorsichtig öffnete sie das verbrannte Visier des Motorradhelms und leuchtete der Frau ins rechte Auge.
    »Wir haben sie im Tunnel gefunden«, antwortete der Sanitäter. »Ihre Vitalzeichen sind gut, aber sie war bewusstlos, als wir sie gefunden haben, und bis jetzt ist sie auch nicht aufgewacht.«
    Dr. Kulin richtete das Licht auf das linke Auge. Dort zog sich die Pupille nicht ganz so stark zusammen wie rechts. Die Ärztin drehte sich zu dem Sanitäter um. »Direkt zum Röntgen«, befahl sie. »Die Frau hat vermutlich einen Schädelbruch. Und nehmen Sie den Helm nicht ab, bis wir wissen, womit wir es zu tun haben.«
    Der Sanitäter schob die Trage bereits in Richtung Röntgenabteilung, als plötzlich die Tür aufflog und zwei weitere blutende Mönche hereingebracht wurden: die gleichen Wunden und der gleiche massive Blutverlust.
    Was zum Teufel ist hier los?
    Dr. Kulin folgte dem ersten in eine Kabine und ordnete die gleiche Dosis Blutgerinnungsmittel an wie bei dem ersten. Sie hörte einen anderen Arzt nach fünf Litern 0-Positiv brüllen. Wie benommen ging Dr. Kulin zur nächsten Kabine und zog den Vorhang beiseite. Hier erwartete sie eine Überraschung. Es war ein weiterer Mönch, nur dass der nicht blutete. Er stand neben der Trage, diskutierte mit einem Sanitäter und hielt eine junge Frau in den Armen.
    »Ich werde sie nicht allein lassen«, sagte er.
    Der Mann hatte jede Menge Blut auf seiner Soutane, wenn auch nicht annähernd so viel wie die anderen. Die junge Frau auf der Trage war ebenfalls blutüberströmt, und das Muster auf ihren Kleidern ließ auf eine schwere Halsverletzung schließen. Dr. Kulin trat vor und zog den T-Shirt-Kragen der Frau herunter. Die Haut darunter war blutverschmiert, doch Dr. Kulin fand keine Wunde. »Bericht?«, verlangte sie und suchte nach der Quelle der Blutung.
    »Die Vitalzeichen sind schwach, aber stabil«, antwortete der Sanitäter. »Blutdruck 80 zu 50.«
    Dr. Kulin runzelte die Stirn. Das war niedrig genug, um auf einen massiven Blutverlust hinzudeuten, aber sie konnte die Quelle nicht finden. Vielleicht gehörte das Blut ja jemand anderem. »Legen Sie ihr eine Infusion, und überwachen Sie den Blutdruck.« Kurz war Dr. Kulin von dem überirdischen Licht in den grünen Augen wie gefesselt; dann riss sie sich wieder zusammen und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Mönch.
    Er zog seinen Arm weg. »Ich bin okay, wirklich ...«
    »Nun, dann haben Sie ja sicherlich nichts dagegen, wenn ich ihn mir mal anschaue.« Dr. Kulin zog den blutigen, zerfetzten Ärmel auseinander und schaute auf das rot verschmierte Fleisch darunter. Hier war sofort zu sehen, woher das Blut stammte. Der Mann hatte eine üble Schnittwunde am Handgelenk, die offensichtlich sehr tief gewesen war. Allerdings schien sie schon ein paar Tage alt zu sein, doch das Blut war frisch. »Was ist passiert?«, fragte Dr. Kulin.
    »Ich bin nur ein wenig durchgeschüttelt worden«, antwortete der Mann. »Aber ich werde es überleben. Bitte. Ist eine Frau hereingekommen? Ungefähr vierzig Jahre alt? Schwarzes Haar, eins siebzig groß?«
    Dr. Kulin dachte an die Frau mit dem Motorradhelm. »Sie ist zum Röntgen.« Weiter den Flur hinunter schlug ein Überwachungsmonitor Alarm. »Sie ist auch ein wenig durchgeschüttelt worden. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich glaube, sie kommt durch.«

K APITEL 147
    Liv hörte das Quietschen der Schuhe inmitten der Kakofonie, als die Ärztin und der Sanitäter aus der Kabine stürmten. Und sie hörte auch tausend andere Geräusche.
    Seit Gabriel sie aus der Zitadelle getragen hatte, kam ihr jede Farbe, jedes Geräusch und jeder Geruch wie etwas Lebendiges vor. Es war, als würde sie alles zum ersten Mal erleben.
    Als sie nach dem endlosen, von Rauch erfüllten Tunnel in die Nacht hinausgetreten waren und Gabriel sie auf die Trage gelegt hatte, da hatte sie nach oben geschaut und den Neumond am Himmel gesehen. Liv hatte geweint, als sie ihn gesehen hatte; er war so schön und zerbrechlich ... und so frei. Und doch war nicht nur unbändige Freude der Grund für ihre Tränen; sie empfand auch einen schrecklichen Verlust. Sie hatte ihren Bruder gesucht, und obwohl sie sich nicht mehr genau daran erinnern konnte, was sie in
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