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Salzige Küsse

Salzige Küsse

Titel: Salzige Küsse
Autoren: Tine Bergen
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»Eve, tu mir einen Gefallen, fang nicht wie die Jungs an, das gammeligste Gerümpel zu sammeln. Es lief gerade so gut.«
    Eve wusste, dass ihre Mutter nicht nur das Aufräumen meinte. »Aber sie sieht so traurig aus, Mam.«
    Ihre Mutter schaute sich das Porträt noch mal an. »Vielleicht wollte sie nicht fotografiert werden«, bemerkte sie dann.
    Eve schwieg. Mamas Erklärung klang viel zu einfach, so etwas Blödes konnte es nicht sein.
    »Helft ihr mir weiter?«, fragte Mama, während sie die Kekspackung aufriss und sie ihnen hinhielt.
    »Gleich, Mam«, sagte Eve, als sie hörte, dass Philip zurückkam. »Nur noch eine Minute.«
    Ihre Mutter schaute sie kurz an und verschwand dann wieder in Richtung Keller. Philip war klug genug, nicht zu versuchen, das Foto selbst unter die Lupe zu nehmen.
    »Ich glaube, es ist eine Blume oder so was. Aber man kann es nicht gut erkennen. Die Lupe ist einfach zu klein.« Eve drehte das Vergrößerungsglas ein wenig. »Es könnte auch ein Stern sein.«
    Philip nahm ihr die Lupe aus der Hand. »Ich glaube jedenfalls nicht, dass es ein Stempel ist, dafür ist es viel zu unregelmäßig. Jemand hat es gezeichnet.«
    »Das bringt uns leider auch nicht viel weiter«, seufzte Lies.
    Eve schüttelte den Kopf. Sie hörte ihre Mutter die Treppe raufpoltern.
    »Wir gehen besser wieder nach unten.« Sie wickelte das Foto in Küchenpapier und brachte es schnell in ihr Zimmer.
    Nach weiteren zwei Stunden sahen sie aus, als hätten sie sich tagelang im Dreck gesuhlt. Aber der Keller war so gut wie sauber.
    Oder wenigstens leer.
    »Sauber wird der nie«, murrte Eve, während sie zum vierten Mal den Fußboden fegte.
    »Nur nicht aufgeben«, tröstete Lies. Aber auch ihre Bewegungen waren viel schwerfälliger geworden.
    Als sie endlich in der Küche saßen und Suppe aßen, brachte keiner mehr einen Ton heraus. Sogar Philip hielt sein sonst so loses Mundwerk. Nur Mama redete noch. Das machte sie immer, wenn sie müde war. Das hatten selbst Max und Frederik ihr nicht abgewöhnen können.
    »Tausend Dank«, trompetete Mama, als Lies und Philip auf ihre Räder stiegen.
    »Gern geschehen«, antwortete Lies pflichtgemäß.
    »Wir erwarten dich dann um sieben wieder hier, nicht vergessen, ja?«, rief Papa Lies nach.
    »’türlich nicht!« Lies winkte noch einmal, während sie die Ausfahrt hinunterradelte.
    Eve winkte zurück. Sie konnte nicht anders.
    Im nächsten Augenblick spurtete sie nach oben und gewann gerade noch das Wettrennen ins Bad gegen Mama. Als sie sich eine halbe Stunde später frisch geduscht und rosig auf ihr Bett fallen ließ, holte sie noch einmal das Foto hervor.
    Vorsichtig steckte sie es in den jetzt sauberen Bilderrahmen und stellte es auf ihr Nachtschränkchen. Unglücksselig blickten die Augen sie an. Je länger sie sich das Foto ansah, desto trauriger fühlte sich Eve. Sie kramte in ihrer Nachttischschublade, bis sie einen Spiegel fand, in dem sie ihre eigenen Augen betrachtete.
    Katzenaugen, sagte Papa ab und zu. Manchmal, um sie aufzuziehen, manchmal, wenn sie wieder mal zu heftig reagiert hatte. Und es stimmte: Sie hatte tatsächlich Augen, die an eine Katze erinnerten, besonders wenn sie böse schaute. Sie versuchte es vor dem Spiegel. Ihre Augen waren ein guter Mix aus Mamas grauen und Papas grünen Augen, fand Eve. Ihr Blick glitt wieder zu dem Porträt. Wenn Augen wirklich so viel über jemanden erzählten, was erzählten sie dann über diese Frau?

Eve rührte in ihrem Kaffee und schaute aus dem Fenster. Obwohl es draußen noch ein wenig kühl war, versprach es schon jetzt ein wunderschöner Tag zu werden. Sie konnte sich nicht erinnern in Antwerpen jemals so früh aufgestanden zu sein, ganz bestimmt nicht in den Ferien. Da hatte sie allerdings auch nicht in einem ungemütlichen, kahlen Zimmer mit knarrendem Fußboden geschlafen. Nie im Leben hätte Eve sich für eine Frühaufsteherin gehalten, aber in Momenten wie diesen hatte der frühe Morgen schon etwas, so ohne Morgenmuffeligkeit und Stress. Gestern erst hatte sie gemerkt, wie man ein Haus aufwachen hören konnte. Mama und Papa, die langsam die Treppe hinuntergingen, Max, der immer erst eiskalt duschte, und Fré, der von seiner allmorgendlichen Joggingrunde wiederkam.
    Draußen summte und sang alles. Eve zog es hinaus. Rasch stellte sie die Kaffeetasse auf die Spüle und trat in den Garten. Weiter als bis zu dem großen Nussbaum war sie bisher noch nicht gekommen. Jetzt ging sie bis hinten in den
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