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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen
Autoren: Franz Fühmann
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Seele eines Apfels, und alles Grau des trostlosen Raumes schien sich schirmend um diese Substanz zu schmiegen.
    „Wie soll denn die Wette ausschaun?“ erkundigte sich Pavlo. — „Wie üblich“, sagte Janno, „die Hybris natürlich. Es gibt ja doch immer nur
diesen
Pakt.“
    „Wir haben Sie also gewarnt, Herr!“ sagte Pavlo, die Hand über den Tisch ausstreckend. „Daß Sie sich hinterher ja nicht beschweren.“ Doch der Besucher schlug noch nicht ein.
    „Sie sagten etwas von ‚Faust‘ und ‚Blut‘“, meinte er zögernd, „wie wäre das denn zu verstehen? Ich bin, wissen Sie, ziemlich schmerzempfindlich. Wollen Sie mir am Ende doch noch . . .“
    „Nein, nein“, beruhigte ihn Pavlo, „nur keine Angst. Das ist nur was aus einem Papierbuch, ganz unwissenschaftlich, verstehn Sie, aber — na ja!“
    Der Besucher zögerte noch immer.
    „Also was is nun?“ drängte Pavlo, „schlagen S’ ein? Sie spüren nichts. Außerdem dürfen S’ jetzt näher treten.“
    Der Gast schien sich einen Ruck zu geben.
    „Gut“, sagte er geradezu fröhlich, als löse er sich aus einem Traum. „Einverstanden! Eins zu zwanzig. Und jetzt werdet ihr alle beide erleben, wie dieser Spuk vom AK zerstiebt! Ohnmacht — na schön, doch die Ohnmacht des Andern! Ich erkläre dem Zukunftsgespenst den Krieg!“
    „Ich wünschte, du siegtest“, sagte Janno langsam. „Es würde meine Theorie zerstören; und dennoch —“
    Und heftig, fast schreiend: „Ich wünsche es!“
    Die Hände lösten sich voneinander.
    „Nun nehmen S’ Platz!“ lud Pavlo ein.
    Der Besucher ging zum Gestell, und nun sah er, daß auf dem apfelgrünen Computer zwei Skalen mit zwei Zeigern angebracht waren. Der Zeiger der größeren Skala stand vorm äußersten rechten Ende der Zahlenleiste auf dem Wert Zehn; der Zeiger der kleineren, einer halbkreisförmigen, höchst viel- und dünnstrichigen, zitterte um seinen Ausgangspunkt.
    „Belieben S’ jetzt einzutunken!“ befahl Pavlo.
    Der Besucher nahm auf dem Drehstuhl Platz und senkte den Kopf in das Schüsselrund. Pavlo befestigte — der Gast sah es höchst mißtrauisch aus den äußersten Augenwinkeln —, Pavlo befestigte einen bislang unentdeckten dritten Draht, der aus der Schale lugte, mit einem Klebestreifen am Hinterkopf des Sitzenden. Der spürte nichts, und er sah auch nichts andres als das Schüsselinnere und darunter die Umwelt, und doch war seine Unruhe spürbar groß.
    „Es wird nicht weh tun, nicht ängstlich sein!“ beruhigte Pavlo den Sitzenden. „Nur ein bissel ein Surren, müssen Sie wissen, das ist alles halt nur so ein Aushilfsgelump! Ein echtes Kupfer täten wir brauchen, oder gar ein echtes Holz für das Schaltbrett, denn manchmal klemmen die Knöpfe ganz elendig — doch woher sollten wir so was Schönes kriegen? Echtes Holz — nicht dran zu denken! Wir sind ja bloß ein Orange-Institut, und ich sitz dazu noch im simplen Rot-Flur, da werden keine Umstände gemacht. No, Sie wissen ja sicher, wie das so ist; die Logik wird auch nicht in der Violett-Zone siedeln. Doch unser Effekt ist trotzdem verläßlich. Und nun geh ich zum Tisch und schalt Sie ein!“
    Er werde also zehn Minuten weit sehen, vergewisserte sich der Besucher aus der Schüssel, und Pavlo bejahte: ja, zehn Minuten, aber davon nur die letzten Sekunden, und wieviel das sein würden, erfahre man gleich; er schätze fünfundzwanzig bis dreißig.
    „Die Ausnahme“, flüsterte Janno, „die Ausnahme!“
    „Den Kopf schön in der Schüssel lassen, nur keine Sorge, ja, so ist’s brav! Eins zu zwanzig, um ganze Pfunderln; versteht sich, daß da ein Film mitläuft!“ Pavlo drückte auf den obersten Knopf, und auf der Zementwand neben dem Fenster erschien ein Quadrat aus hellerem Grau. — „Auf geht’s!“ sagte Pavlo, einen zweiten Knopf drückend, und der kleine Zeiger sprang mit einem ungestümen Ruck knapp vor das rechte Skalenende.
    „Dreißig Sekunden!“ meldete Janno.
    „Na also“, sagte Pavlo, „ganz gut geschätzt. Sie sehen also dreißig Sekunden weit, vom Augenblick des Einschaltens wäre das die dreißigste Sekunde der neunten Minute, und die Schau läuft genau bis Minute zehn Sekunde null.“
    „Nein“, sagte Janno, „bis Minute neun, Ende Sekunde neunundfünfzig!“
    „Unsinn, bis zehn Komma null null!“
    „Neun neunundfünfzig!!“
    „Zehn null, null!!!“ — „Egal!“ klang es aus der Schüssel. „Alles dasselbe! Ich rekapituliere nochmals meine Wette: Seh ich mich laufen, bleibe ich
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