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Sagen von der Alhambra (German Edition)

Sagen von der Alhambra (German Edition)

Titel: Sagen von der Alhambra (German Edition)
Autoren: Washington Irving
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Mauren. Der Tanz wurde vernachlässigt, und sie setzten sich in Gruppen auf den Boden und erzählten sich alte Geschichten, die sie von ihren Voreltern gehört hatten. Einige dieser Erzählungen drehten sich um die Wunder eben dieses Berges, auf welchem sie saßen und der als Zauber-und Hexenrevier berühmt ist. Eine alte Frau gab eine weitläufige Schilderung von dem Palaste in den Eingeweiden dieses Berges, wo der Sage nach Boabdil und sein ganzer maurischer Hof festgebannt sind. »Unter jenen Trümmern«, sagte sie; auf einige zerfallene Mauern und Erdwälle an einem fernen Theil des Berges deutend, »ist ein tiefes, dunkles Loch, das weit, weit in das Herz des Berges niedergeht. Um alles Geld von Granada möchte ich nicht hineinsehen. Eines Tages hütete ein armer Mann auf der Alhambra Ziegen auf diesem Berg und kletterte in das Loch hinab einem Zieglein nach, das hinein gefallen war. Ganz wild und stier kam er wieder heraus und erzählte von dem, was er gesehen hatte, Dinge, daß Jeder glaubte, er sei toll geworden. Er faselte einige Tage von den gespenstischen Mauren, die ihn in der Höhle verfolgt hätten, und konnte kaum überredet werden, seine Ziegen wieder auf den Berg zu treiben. Er that dieß endlich, aber ach, der arme Mann! er kam nie wieder herab. Die Nachbarn fanden seine Ziegen um die maurischen Trümmer weiden, sein Hut und Mantel lagen in der Nähe des Loches, aber von ihm war nichts mehr zu hören.
    Die kleine Sanchica lauschte dieser Geschichte mit athemloser Aufmerksamkeit. Sie war neugierigen Charakters und fühlte sogleich ein mächtiges Sehnen, in diese gefährliche Tiefe zu schauen. Sie stahl sich von ihren Gespielinnen weg, suchte die entfernten Trümmer, und nachdem sie eine Zeitlang unter ihnen herumgekrochen war, kam sie an eine kleine Aushöhlung oder Becken, nahe der Spitze des Berges, wo er sich steil in das Thal des Darro hinabsenkt. In der Mitte dieses Beckens gähnte die Oeffnung jenes Loches. Sanchica wagte sich an den Rand und schaute hinein. Alles war schwarz wie Pech und bot ein Bild unermeßlicher Tiefe. Ihr Blut ward zu Eis; sie ging zurück, blickte wieder hin, wollte weglaufen und warf noch einen Blick hinein, – selbst das Schauderhafte der Sache war anlockend. Zuletzt rollte sie einen großen Stein herbei und warf ihn über den Rand. Eine Zeitlang fiel er lautlos; dann traf er auf felsige Vorsprünge, und sie hörte ein starkes Krachen, dann sprang er rumpelnd und polternd von einer Seite zur andern, mit donnerähnlichem Lärm, fiel endlich tief, tief unten in das Wasser – und Alles war wieder still. Dieses Schweigen dauerte aber nicht lange. Es schien, als wäre Etwas in diesem öden Schlunde wach geworden. Ein murmelnder Ton erhob sich nach und nach aus der Tiefe, wie das Summen eines Bienenstocks. Es wurde lauter und lauter; es war ein Getös von Stimmen, wie das Murmeln einer fernen Menge, und ein schwaches Klirren von Waffen, Cymbelnklang und Trompetenschall, als wenn der Herr in den Eingeweiden des Berges sich zur Schlacht fertig mache.
    Mit stummen Schrecken ging das Kind weg und eilte zu der Stelle, wo es seine Eltern und Gespielinnen gelassen hatte. Alle waren fort. Das Freudenfeuer war am Erlöschen, und die letzten Rauchwolken kräuselten sich im Mondschein empor. Die fernen Feuer, welche auf der Vega und den Bergen entlang gelodert hatten, waren alle erloschen, und rings schien Alles in Ruhe versunken zu sein. Sanchica rief ihre Eltern und einige ihrer Gespielinnen bei den Namen, erhielt aber keine Antwort. Sie lief die Seite des Berges hinab und die Gärten des Generalife entlang, bis sie in die Baumgänge kam, welche zur Alhambra führen, und wo sie sich auf eine Bank im Gebüsch setzte, um Athem zu schöpfen. Die Glocke in dem Wartthurm der Alhambra schlug Mitternacht. Es herrschte eine tiefe Ruhe, als wenn die ganze Natur schliefe, nur daß ein ungesehener Bach, der unter der Halle des Buschwerks dahinfloß, einen leisen Klang hören ließ. Die ruhige Lieblichkeit der Nachtluft wiegte sie in Schlaf, als ihr Auge von einem Glanze in der Entfernung getroffen ward, und sie zu ihrem Staunen einen langen Reiterzug maurischer Krieger erblickte, welche die Bergseite hinab und die laubigen Gänge entlang eilten. Einige waren mit Lanzen und Schildern bewaffnet, andere mit Säbeln und Hellebarden und mit polirten Harnischen, welche im Mondschein glänzten. Ihre Rosse hoben sich stolz und knirschten auf ihr Gebiß, aber ihr Schritt brachte nicht mehr Klang
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