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Sag niemals nie

Sag niemals nie

Titel: Sag niemals nie
Autoren: India Grey
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Nein, Angelo. Mach nicht alles noch schlimmer.“
    Sie verhielt sich wie ein verschrecktes Reh. Die kleinste falsche Bewegung, und sie würde verschwinden. Dann hätte er sie für immer verloren. Die Anspannung schnürte ihm die Kehle zu. Wahrscheinlich war es besser, es ihr gleich zu sagen. Doch er hatte keine Ahnung, wie sie es aufnehmen würde. Vielleicht wollte sie ihn nie mehr sehen, wenn sie erfuhr, dass er Lisettes Sohn war.
    „Ich muss dir etwas sagen, das dich möglicherweise schockieren wird, Anna.“
    Jetzt kommt, dass seine Braut schwanger ist! Anna hielt sich die Ohren zu. „Bitte, Angelo! Ich will nichts mehr hören!“
    „Du musst mir zuhören, Anna!“, drängte er verzweifelt.
    „Warum? Mein Leben hast du schon zerstört. Genügt dir das nicht?“
    Müde setzte er sich auf die Treppe und schlug die Hände vors Gesicht. „Hör zu, ich habe dich in Ifford nicht wegen etwas verlassen, das du getan oder gesagt hast.“ Er zog ein kleines Kästchen aus der Tasche und reichte es ihr. „Das hier war der Grund, warum ich abgereist bin.“
    Sie schloss die Augen. „Du hast gesagt, du wolltest heiraten“, flüsterte sie.
    „Nein!“, rief er beschwörend. „Hier.“ Er drückte ihr das Kästchen in die Hand. „Mach es auf.“
    Widerstrebend tat sie es, blickte Angelo verständnislos an. „Mein Anhänger. Ich weiß nicht, was …“
    „Es ist nicht dein Anhänger, sondern der zweite Ohrring. Lisettes verlorener Ohrring. Als Baby wurde ich im Kloster abgegeben. Der Ohrring befand sich in dem Schal, in den ich gehüllt war.“
    Ungläubig sah Anna ihn an. „Meine Mutter …?“
    „War meine Mutter“, erklärte er mit ausdrucksloser Stimme. „Offenbar hatte sie in dem Sommer, als sie sich mit deinem Vater verlobte, ein Abenteuer. Ich war die unerwünschte Folge. Als ich das begriffen habe, dachte ich zuerst, du wärst meine Schwester. Ich war entsetzt, weil ich mit dir geschlafen hatte. Da musste ich einfach fort …“
    Schweigen erfüllte die prächtige Halle. Fassungslos blickte Anna auf den mit Rubinen und Diamanten besetzten Ohrring. Erinnerungssplitter aus den letzten Monaten stürmten auf sie ein. Sie ahnte, wie unsäglich Angelo gelitten haben musste.
    „Deshalb wolltest du wissen, ob ich schwanger bin?“, wisperte sie.
    „Ja.“
    Bewegt sah sie ihn an. Sein Blick war so entschlossen wie vor einem Monat auf dem Bahnsteig, doch seine Lippen bebten.
    „Ach Angelo, es tut mir ja so leid …“
    Er stand auf und wandte sich von ihr ab. Langsam ging er die Treppe hinauf. Benommen ließ Anna das Etui zuschnappen und folgte ihm. All ihre Gedanken kreisten nur um eine Frage.
    Anna fand Angelo im Zimmer ihrer Großmutter. Wie bei ihrer ersten Begegnung stand er am Fenster. Sein blondes Haar hob sich golden gegen die graue Winterlandschaft ab. Zögernd ging sie zu ihm.
    „Angelo? Warum hast du es mir nicht gesagt?“
    Er drehte sich nicht um, schüttelte nur hilflos den Kopf. „Wie sollte ich? Ich hatte Angst, du würdest mich verachten.“ Sein verzweifeltes Gesicht spiegelte sich schwach in der Fensterscheibe.
    Gern hätte sie jetzt die Arme um ihn gelegt. Aber das durfte sie nicht tun, er gehörte einer anderen.
    „Es war alles meine Schuld“, sagte sie niedergeschlagen, „weil ich nicht ehrlich war und verheimlicht habe, dass ich adoptiert wurde. Mein Versteckspiel mag kindisch erscheinen. Aber meine Eltern hatten mir jahrelang verschwiegen, dass ich adoptiert wurde. Darum hatte ich das Gefühl, mich dafür schämen zu müssen. Für meinen Vater war es ein schwerer Schlag, als er erfuhr, dass er keine Kinder haben konnte. Es war erniedrigend für ihn. Und für mich auch … Ich kam mir vor wie eine Betrügerin, ein trauriger Ersatz. Doch an dem Tag auf dem U-Bahnsteig wurde mir klar, dass alles das nicht wichtig ist. Dass ich Glück habe … Aber …“, Anna schluchzte, „aber da erfuhr ich, dass es zu spät war.“
    Langsam drehte Angelo sich um und sah sie an. „Wieso?“, fragte er ernst. „Warum ist es zu spät?“
    „Das Kleid.“ Müde deutete sie auf das Gewand am Schrank. „Das Brautkleid …“
    „Sieh es dir an.“
    Zögernd ging sie durch den Raum und blieb vor dem Kleid stehen. Mit bebenden Fingern streifte sie die durchsichtige Schutzhülle herunter.
    Im nächsten Moment hob sie fassungslos die Hände. Tränen rannen ihr über die Wangen. Aus kostbarer dicker Seide gearbeitet, hatte sie eine genaue Kopie des alten Kleides vor sich, das ihre Mutter ihr geschneidert
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