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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul
Autoren: Jean Paul
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eigenen Wege gehen. Der liberale Protestantismus, den Jean Paul den metaphysischen Schwärmereien des Sohnes entgegenzusetzen versuchte, konnte diesen natürlich nicht mehr befriedigen. Professor Corrodi berichtet, daß er Max Richter oft während des Gottesdienstes beobachtete, wie er in lautem Schluchzen zusammenbrach und alle Anwesenden durch die Tiefe seiner Erschütterung rührte. Bald darauf kam Max zu Hause an, statt, wie der Vater gewünscht hatte, eine Rheinreise zu machen. In der Nacht vom 25. zum 26. September 1821 starb er. Jean Paul war mitvernichtet.
    Notdürftig vollendete er den dritten Band des »Komet«. Er konnte das Wort »Philologe« nicht mehr aussprechen hören, ohne in Weinen zu fallen. Er floh das Gymnasium, das ihn an Max erinnerte. Als bald darauf seine Augen schwach wurden, schob er es dem unaufhörlichen Weinen um den Sohn zu. Eine unendliche Einsamkeit senkte sich über ihn, und sie hatte ihren Grund nicht nur in dem Tod des Sohnes, sondern vielleicht auch, dem Dichter selbst unbewußt, in dem Gefühl, daß ein Abgrund ihn von der Zeit trennte, die ihm auf dem Fuße folgte. Seines Sohnes haltloser Mystizismus und die Tat Karl Sands, obwohl beide in gewissem Sinne gerade von ihm ihren Ausgang nahmen, zeigten ihm, daß die Welt weitergerollt war, ohne ihn mitzunehmen. Und doch hatte er die Vorrede zu Arnold Kannes erstem Werk geschrieben, und doch konnte Karl Sand seinen Entschluß mit Jean Pauls Schrift »Über Charlotte Corday« begründen, die er beständig bei sich trug und die ihm zur Bibel geworden war. Auch in der öffentlichen Diskussion, die der Tat Sands folgte, spielte diese Schrift eine Rolle. De Wette, der bekannte liberale Theologe, hatte Sands Mutter einen Trostbrief geschickt und in diesem auch Jean Pauls Schrift herangezogen zur Erklärung für die verhängnisvolle und doch aus einem edlen Enthusiasmus erwachsene Tat. Bekanntlich kostete dieser Brief De Wette sein Amt. Jean Paul selbst benutzte jede Gelegenheit, um von der Tat seines Wunsiedler Landsmanns abzurücken. Genau wie er von jetzt ab sich scharf gegen den Mystizismus der Zeit wandte. Es war die Vorrede zur zweiten Auflage der »Unsichtbaren Loge«, in der Jean Paul diese Richtung, und mit ihr auch E. T. A. Hoffmann, verdammte, dessen »Prinzessin Brambilla« sein Mißfallen erregt hatte. Auch sein Aufsatz »Wider das Überchristentum« ist aus dieser Kampfeinstellung gegen den Mystizismus zu erklären, der seinem Sohn das Leben gekostet hatte. Die Zeit hatte sich gewandelt. Der prophetische Verkünder des persönlichen Gottes und der Unsterblichkeit wurde vor den Verstiegenheiten seiner Abkömmlinge zu einem gemäßigten und liberalen Protestantismus gedrängt. Es war Abwehr gegen die Zeit, nicht mehr schöpferische Kraft, die hier zutage trat. Und doch kehrte sich gerade infolge des Verlustes seine Seele der Unsterblichkeit zu. Noch einmal regte sich der Genius in ihm, um auf ein erschütterndes Erlebnis im Werk zu antworten. Die Gestalten des »Kampanertals« kamen wieder. Mitten aus den »Hesperus«triumphen hatte es ihn damals getrieben, seine Gedanken über die Unsterblichkeit der Seele für die schwankenden und zweifelnden Frauen niederzulegen. Jetzt, da sein Sohn ihm entrissen war, mußte er sich von neuem in den Unsterblichkeitsgedanken als letzten Trost hineinbohren.
    Damals hatte er in jugendlich überschäumender Phantasie die Gespräche über die Unsterblichkeit in das prächtige Pyrenäental verlegt. Eine herrliche Natur, großartige Bilder umstanden als Hintergrund diese Gespräche, die in einer romantischen Zauberfahrt mit der Montgolfiere ihren Abschluß fanden. Vor solcher Umwelt bebte sein müder Geist jetzt zurück. Wenn er die Gestalten dieser Gespräche noch einmal beschwören wollte, so mußte er sie nach Deutschland zurückziehen, auf vertrautem Boden sich mit ihnen begegnen. Bald nach dem Tode des Sohnes kam ihm der Plan zu diesem Werk, das die Gestalten und die Gedanken des »Kampanertals« noch einmal aufgreifen sollte. Die letzte große Schrift »Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele« wurde damals empfangen. In furchtbarer Einsamkeit, durch fortwährendes Gedenken an den Sohn verdüstert, ging der Winter vorüber. Er versuchte seines Schmerzes Herr zu werden, gab sich Zerstreuungen und anstrengender Tätigkeit hin, aber sein Leben blieb eine einzige große Wunde.
    Erst der Frühling des Jahres 1822 sah ihn so weit, daß er sich wieder in die Welt wagen konnte. Keine der
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