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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul
Autoren: Jean Paul
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Leine um den Hals zu bemerken.« Jean Paul wurde von dem Jüngling sogleich aufs innigste angezogen. Seltsamerweise traf er ihn in einer Situation, die ihn an seine eigene Jugend erinnern mußte. Spazier hatte genau wie Jean Paul in seinen jungen Jahren die Halsbinde abgeworfen, um der Welt eine freie offene Brust zu bieten. Darüber war es zu einem Zerwürfnis mit dem Vormund gekommen. Feurig ergriff Jean Paul sogleich Spaziers Partei, um so lieber, da ihm der Vormund, der Dichter Mahlmann, ebenfalls mit einer Schwester seiner Frau verheiratet, von jeher zuwider gewesen war. Was Spazier aber am meisten sogleich bei der ersten Begegnung an Jean Paul lieben lernte, war seine zurückhaltende Art, die es ängstlich vermied, in die Freiheit eines andern einzugreifen. Selbst über seine Bücher sprach er mit dem Jüngling nicht, und als einige Wochen später Spazier den »Titan« gelesen hatte und nicht sonderlich davon angezogen war, entschuldigte der berühmte Autor den Neffen und führte das Beispiel Jacobis an, der gerade von Lindas Untergang nicht weniger zurückgestoßen worden wäre. »Erst später«, schreibt Spazier, »sah ich ein, daß er sich ein Gewissen daraus gemacht hatte, in der Epoche der Entwicklung, in welcher ich mich befand, irgendwie direkt oder indirekt auf die Richtung derselben dadurch zu influenzieren, daß er eine so gewaltige Welt, wie seine verständlichern Werke enthielten, in meinen Weg zu werfen versuchte. Ich muß es noch heute für ein Glück halten, daß ich damals auch in dieser Beziehung noch von ihm freigelassen blieb.«
    Auch von den sonstigen Bekanntschaften, die Jean Paul in Dresden machte, und von seiner Art zu leben, erzählt Spazier aus eigener Anschauung. Scheu verschloß sich der Dichter damals gegen stärkere Eindrücke. Keine der schönen, ihn umschwärmenden Frauen kam ihm mehr näher. Mit Eigensinn vermied er es, Menschen, die ihm gefallen hatten, mehr als zweimal zu sehen, wie er auch die ihm am liebsten gewordenen Häuser nicht mehr als zweimal besuchte. »Welche Todesangst litt ich oft,« schreibt eine Bekannte Spaziers, »wenn er etwa manche dargebotene Hand gar nicht ergriff und diese unberührt wieder sinken mußte; oder andere, die ihm vorgestellt sein wollten, Minuten lang hinter seinem Stuhle reden ließ, ohne die Stellung zu verändern, die ihrem Annahen hinderlich war.« Was bedeuten aber diese Eigenheiten, aus einer müden und abwehrenden Haltung geflossen, gegen die rührende Hilfsbereitschaft, die er sofort zeigte, wo wirklich zu helfen oder teilzunehmen war. Ein kleines Mädchen, der er ihre rasenden Zahnschmerzen mehrmals durch magnetische Striche gelindert hatte, stürzte eines Nachts zu seiner Wohnung, ließ ihn aus dem ersten Schlafe wecken, und wirklich ging der alte Mann barfuß die Treppe hinunter und heilte sie.
    Diese Dresdener Wochen, die Jean Paul meistenteils bei seinen Verwandten verlebte, waren die letzten heiteren Wochen seines Lebens. Schon in Dresden sollte das Unglück offenbar werden, das seine letzten Jahre verbitterte. Böttiger, der inzwischen nach Dresden übergesiedelt war, erblindete in diesen Tagen vorübergehend. Jean Paul, zur Hypochondrie neigend, prüfte nun auch seine Augen und mußte plötzlich feststellen, daß die Sehkraft seines linken Auges erheblich nachgelassen hatte. Sofort nahm Jean Paul nach seiner Art den Kampf gegen das beginnende Übel auf. Die verschiedensten Brillen, Lampen, Dochte, Veränderungen der Körperlage beim Arbeiten, die verschiedensten Diäten wurden versucht, medizinische Bücher durchgearbeitet, Hypothesen aufgestellt. Nur zu einem richtigen Augenarzt zu gehen, konnte sich der Dichter nicht entschließen. Später schickte er genaue Aufzeichnungen seines Leidens und der Symptome an verschiedene Ärzte, aber diese Beschreibungen konnten natürlich eine körperliche Untersuchung nicht ersetzen. Jean Paul suggerierte sich und andern, daß es sich um den grauen Star handelte, der fortoperiert werden könne. Aber es war die beginnende Auflösung des ganzen Körpers, die zuerst die Augen befallen hatte.
    An Schonung dieses für den Schriftsteller wichtigsten Organs war auch keineswegs zu denken. Zu Hause mußte die zweite Auflage des »Dr. Katzenberger« besorgt werden. Man weiß, wie gründlich Jean Paul seine Werke umarbeitete, bevor sie erneut in die Welt hinausgingen. Dennoch trug ihn diese Arbeit noch in einigermaßen heiterer Stimmung durch den Sommer 1822 hindurch. Im Herbst aber traf ihn der letzte
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