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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge
Autoren: B Jones
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wachsamen Augen schaut sie unter der Bettdecke hervor und flüstert angeregt und beharrlich auf ihn ein.
    Ich kann nicht hören, was sie sagt. Ich weiß nicht, ob es die Wahrheit ist oder zumindest ein Teil davon oder eine ganz andere Version. Aber ich stehe auf dem Krankenhausflur in der Nachtbeleuchtung und halte durch die gläserne Trennwand Ausschau nach einem Zeichen, wandere unruhig herum und stoße mir die Zehen an der zerkratzten Fußbodenleiste, bewege mich und bleibe stehen, trommle mit den Fingern auf den Feuerlöscher ein, weiche vor den Blicken der Krankenschwestern zurück. Ich bin gleichzeitig sauer und eingeschnappt, erschöpft und innerlich total verkrampft, ruhelos, wachsam.
    Er nimmt jetzt sanft ihre Hand, und sie reagiert mit einem Lächeln. Jetzt weint er. Simple, nasse Tränen, die wie von selbst aus ihm herausquellen. Sein Blick ist voller Nachsicht, als hätte er ein Kind vor sich. Mit der freien Hand streicht er ihr tröstend das feuchte Haar aus der Stirn. Nach ungefähr zwanzig Minuten steht er auf und hält durch die Glasscheibe nach mir Ausschau. Im Weggehen hält er ihre Hand fest, bis Arme und Finger auseinandergleiten, dann kommt er heraus, um mit mir zu sprechen.
    »Gott sei Dank bist du rechtzeitig gekommen, Lizzy«, sagt er.
    Seine Worte zerschmettern etwas in mir, zerstören jede Hoffnung. Vielleicht habe ich mir gewünscht, er werde mir zumindest auf irgendeine unausgesprochene, subtile Weise signalisieren, dass er verstanden hat, wie nah er durch Coras Selbstmordversuch einem anderen Leben gekommen ist, einem Leben mit mir. Einem Leben, das sich die dunkle Seite in ihm vielleicht für einen klitzekleinen Moment hätte wünschen und vorstellen können. Wenn sich seine Frau doch nur umgebracht hätte.
    Stattdessen sagt er: »Ich habe so viel Mist gebaut mit Cora, mit allem. Ich habe sie dazu getrieben. Ich wusste, dass sie alles für mich tun würde, mir war nur nicht klar, wie weit sie gehen würde. Sie hat so seltsame Dinge gesagt, so unglaubliche Dinge.« Er bricht ab.
    Er sieht aus, als würde er sich mit der schwierigen Lösung einer Matheaufgabe herumschlagen. »Sie hat tatsächlich geglaubt, dass ich diese Jenny liebe. Ich weiß, dass ich ein paar Dinge getan habe, die weder schlau noch nett waren, aber so was? Wie konnte sie das ernsthaft denken? Deshalb hat sie es getan. Sie sagt, sie habe mich nicht mehr gekannt – nicht mehr gewusst, wer ich war. Und sie wusste auch nicht mehr, was die Wahrheit ist. Sie ist übrigens auch nicht diejenige, für die ich sie gehalten habe, aber wer ist das schon?«
    Seine Augen gleiten davon, über Coras Bett hinweg nach draußen in die Dunkelheit und zurück durch die Jahre. »Aber jetzt muss ich es wieder in Ordnung bringen, nicht wahr? Nachdem sie das getan hat. Wenn nicht jetzt, wann dann?«
    Er sagt es beinahe mit Stolz, mit Zurückhaltung, mit unverkennbarer Ehrfurcht. Ihr ungewöhnlicher Mut und ihre entschlossene Tat haben ihn völlig überwältigt. In seinen Augen sind sie Ausdruck ihrer Bewunderung und Abhängigkeit, das sehe ich genau. In seiner Naivität glaubt er, sie habe es nur für ihn getan, so wie ganz selbstverständlich alles nur für ihn ist, nur für ihn sein kann.
    In einem anderen Leben wäre dies der Zeitpunkt gewesen, sein Gesicht zwischen die Hände zu nehmen und zu sagen: »Ich liebe dich, Mike. Das weiß ich jetzt. Bitte entscheide dich für mich. Wir können das alles hier einfach hinter uns lassen und nach vorne blicken, oder wir blicken zurück auf all die Nächte, in denen wir uns nicht berührt haben, weil es uns falsch erschien, weil es nicht unseren Vorstellungen von anständig und korrekt und möglich entsprach. Wir können endlich das Leben führen, das wir schon immer hätten führen sollen – auch wenn wir es nicht verdient haben.«
    Aber ich schweige, obwohl an der Stelle, wo einst meine Seele gewesen ist, höllische Schmerzen wüten. Außerdem verrät mir der Ausdruck in seinen vertrauten, blauen, wunderschönen Augen, dass der Moment schon lange vorbei ist. Ich will ihn packen, mit den Fäusten traktieren, anflehen, will schreien, weinen, jammern, mir die Haare herausreißen, heulen vor Schmerz. Gleichzeitig verliert meine Vorstellung von Mike vor meinen Augen immer mehr an Substanz.
    Die Jahre haben ihren Tribut gefordert und beginnen immer schwerer auf mir zu lasten, mir die Atemluft abzudrücken. Mike sieht mich an, und aus seinem Blick spricht wie immer das Flehen um Verständnis und
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