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Russendisko

Titel: Russendisko
Autoren: Kaminer,Wladimir
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wertvolle Lieblingsmarke mit einem Totenschädel schenken wollte. »Warum machen ausgerechnet die interessanten Menschen so viele Umstände?«, wundert sich Helena. Seit sich der scheußliche Hund unbekannter Rasse im dunklen Flur auf sie gestürzt hatte, kann sie nicht mehr ruhig schlafen. Auch der Castaneda aus Höhenschönhausen macht ihr Sorgen. Sie hat schon sechs Faxe von ihm bekommen, in denen er ankündigt, nun endgültig den Weg des Kriegers zu gehen. Helena fühlt sich von »Interessanten Russen« geradezu umzingelt. Die Journalistin überlegt sich sogar, ihre Kolumne in der Zeitung aufzugeben
    oder sie in »langweilige Russen in Berlin« umzubenennen. Ich versuche, sie davon abzuhalten. Denn das wäre für die »Interessanten Menschen« eine Katastrophe. Schließlich sind sie mehr als alle anderen auf die Unterstützung der Medien angewiesen.
    Deutschunterricht
    Was hat uns die moderne Naturwissenschaft anzubieten? »Finden Sie die Kapazität des Schwingungskreisels...« Da kann ich nur sagen: Sucht sie doch selber und macht damit was ihr wollt! Neulich fand ich im Wartesaal eines Arztes in der Brigitte einen dreiseitigen Beitrag über die Quantenmechanik. Die Autorin behauptete darin, dass es laut der Quantenmechanik keine Zeit gibt. Das ist keine erfreuliche Botschaft, besonders wenn man über zwei Stunden beim Arzt im Warteraum sitzt und immer kränker wird. Mit der kalten Welt der Physik will ich nichts zu tun haben. Lieber lerne ich zu Hause weiter Deutsch - im Bett.
    Seit Jahren lese ich täglich in meinem russischen Lehrbuch Deutsches Deutsch zum Selberlernen aus dem Jahr 1991. Ein Trost für Geist und Körper. Das Vorwort könnte allerdings manch einem Angst einjagen, denn dort wird beschrieben, wie schrecklich kompliziert diese Sprache ist: »Im Deutschen ist >das junge Mädchen< geschlechtslos, die Kartoffel dagegen nicht. Der Busen ist männlich und alle Substantive fangen mit einem großen Buchstaben an«, klagen die Russen. Na und? Mir macht das nichts aus. Ich lese Deutsches Deutsch zum Selberlernen seit etwa acht Jahren und werde wohl noch weitere dreißig Jahre damit verbringen. Im Deutschen Deutsch tut sich eine andere, eine beruhigend heile Welt auf. Den im Lehrbuch vorkommenden Leuten geht es saugut, sie führen ein harmonisches, glückliches Leben, das in keinem anderen Lehrbuch möglich wäre: »Genosse Petrov ist ein Kollektivbauer. Er ist ein Komsomolze. Er hat drei Brüder und eine Schwester. Alles Komsomolzen. Genosse Petrov lernt Deutsch. Er ist fleißig. Die Wohnung des Genossen Petrov liegt im Erdgeschoss. Die Wohnung ist groß und hell. Genosse
    Petrov lernt Deutsch. Diese Arbeit ist schwer, aber interessant. Er steht pünktlich um sieben Uhr morgens auf. Er isst immer in der Kantine zu Mittag. Das Wetter ist immer gut. Am Sonntag geht er mit den Kameraden ins Kino. Der Film ist immer gut. Kommst du? Ich komme ganz bestimmt. Du bist krank. Wir trinken lieber Tee. Es ist angenehm, im Wald spazieren zu gehen. Wir sind für den Frieden. Wir sind gegen den Krieg. Nehmen Sie diese Bücher für Ihre Kinder!« Wenn ich zu lange in dem Lehrbuch lese, kommt mir Genosse Petrov manchmal fast unglaubwürdig vor. Dann lege ich das Buch zur Seite und lese zur Abwechslung Deutsch 2 für Ausländer, ein deutsches Lehrbuch vom Herder-Institut, Leipzig 1990: »Der Berg Fichtelberg ist der höchste Berg der DDR. Seine Höhe beträgt 1214 Meter. Trotz Emigration, Krankheit, Not und Gefahr war Karl Marx ein glücklicher Mensch, weil er...«Langsam versinke ich in Schlaf. Ich träume, wie Karl Marx, Genosse Petrov und ich zu früher Stunde auf dem Berg Fichtelberg stehen. Das Wetter ist gut, die Sicht ist klar. Die Sonne geht auf und gleich wieder unter, die speckigen Flamingos ziehen langsam nach Süden. Wir unterhalten uns auf Deutsch. »Ich habe eine sehr schöne Wohnung», sagt Karl Marx. »Sie ist groß und hell. Ich bin glücklich.« »Ich auch«, sagt Genosse Petrov. »Und ich auch«, flüstere ich vor mich hin.
    Der Sprachtest
    Eine große Einbürgerungswelle steht vor der Tür. Bald werden viele Ausländer dem »Deutschland«-Verein angehören, wenn man den Zeitungen glauben darf. Auch viele meiner Landsleute spielen mit dem Gedanken, ihren Fremdenpass umzutauschen und richtige deutsche Bürger zu werden. Die Eintrittsregeln sind bekannt: Man füllt einige Formulare aus, bringt einige Bescheinigungen mit - aber Achtung! Wie bei jedem großen Verein gibt es auch hier versteckte Fallen und
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