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Russendisko

Titel: Russendisko
Autoren: Kaminer,Wladimir
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Ich empfahl ihm, mit dem Künstler offen über sein Problem zu sprechen. Zuerst weigerte sich Sascha, doch dann überlegte er es sich anders. Nach einem zunächst von gegenseitigen Vorwürfen
    bestimmten Gespräch einigten sich die beiden Männer: Keine weiteren Sascha-Porträts in den Bezirken Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain.
    Die schreibende Gr ä fin
    Eine erfreuliche Nachricht erreichte uns: Meine alte Moskauer Bekannte Lena ist nun Gräfin de Carli geworden und lebt in einem Schloss bei Rom. Lena war schon immer der lebende Beweis dafür, dass man mit Fleiß und Zielstrebigkeit jeden Traum verwirklichen kann. Jahrelang ging sie im Intourist- Hotel anschaffen, in der Hoffnung, dort ihren Prinzen zu treffen. Sie suchte ihn schon, als Pretty Woman noch auf der Schauspielschule war, sie wartete auf ihn, als die Moskauer Polizei jede Nacht auf Hurenjagd ging, sie gab auch nicht auf, als allen anderen längst klar war, dass kein normaler Prinz jemals freiwillig Russland besuchen würde. Die meisten Gäste im Intourist waren entweder Sexualverbrecher oder Leute, die es werden wollten. Lena überlebt sie jedoch alle. Ab und zu erzählte sie uns perverse Geschichten aus ihrem Arbeitsalltag. Obwohl es schon über zehn Jahre zurückliegt, sind mir viele ihrer Geschichten in Erinnerung geblieben: Beispielsweise die des Schweden mit dem gekochten Hühnerei oder die des Japaners mit der Balalaika und des Jugoslawen mit dem silbernen Löffel. Nun lebt Lena aber, wie gesagt, in Rom und heißt Gräfin de Carli. Seit einem Jahr ist sie sogar Witwe. Der alte Graf konnte seine Ehe nicht lange genießen, ein Herzanfall in der Badewanne warf ihn aus dem Rennen. Seine Familie, eine der mafiosesten Italiens, machte zunächst Lena für den Unfall verantwortlich, weil sie angeblich davor schon einmal jemanden geheiratet hatte, der dann an einem Herzanfall in der Badewanne gestorben war. Die Familie wollte Rache und hätte Lena auch schon längst beseitigt, wenn nicht Julia, die Tochter und gleichzeitig einzige Erbin, gewesen wäre. So durfte Lena unbehelligt im Schloss weiter mit ihrer Tochter leben.
    Mein Freund Georg und ich waren noch nie in Rom gewesen, es hatte einfach nie einen richtigen Anlass für die Reise gegeben. Doch Lena in ihrer neuen Qualität als verwitwete Gräfin zu besuchen, war uns Grund genug. Wir stiegen in einen Bus und fuhren los. Im Moskauer Flachland aufgewachsen, wurden wir in Italiens Bergen sofort seekrank. Unser Bus fuhr rauf und runter, die zwei Flaschen Weinbrand, die wir zur Rettung dabei hatten, waren schnell leer. Geschwächt und angetrunken stiegen wir in Rom aus. Im Morgennebel stürzte Georg gleich in eine Baugrube, die sich als Ausgrabungsstelle am Colosseum erwies. Etwas unterhalb spielten albanische Jugendliche Fußball. Georg wollte unbedingt mitspielen, aber die Albaner hielten das für keine gute Idee. Kurz darauf kamen einige afrikanische T-Shirt-Verkäufer. Sie behaupteten, die Grube in der Nacht zuvor eigenhändig ausgehoben zu haben, um ihre T-Shirts mit Michelangelo-Aufdruck besser verkaufen zu können. Plötzlich befanden wir uns mitten in einem internationalen Konflikt. Georg veranstaltete sofort eine Friedenskonferenz. Die Albaner gingen schließlich freiwillig nach Hause, und wir halfen den Afrikanern, einige antike Steine zur Ausschmückung der Grube zusammenzusuchen. Zum Dank und als Andenken schenkten sie uns zwei Michelangelo-T-Shirts.
    Wir machten uns auf die Suche nach Lenas Schloss. Es war schon dunkel, als wir es entdeckten. Lena freute sich riesig. Müde nach der langen Reise, nahm ich erst einmal ein Bad in der Wanne, in welcher der Graf gestorben war. Anschließend zog ich auch noch seine frisch gebügelten Sachen an - davon gab es drei Wandschränke voll. Lena klagte, als Gräfin ein langweiliges Leben führen zu müssen. Sie durfte keine fremden Männer anbaggern. Die Familie ihres Mannes hatte extra einen Leibwächter für Lena engagiert, der sie von Männern fernhielt. Frustriert widmete sich Lena der Literatur, und seit einem Jahr saß sie bereits an einem erotischen Roman,
    in dem sie ihre Lebenserfahrungen verarbeiten wollte. Ich hatte die Ehre, der erste Leser ihres noch unfertigen Werkes zu sein. In der großen runden Marmorbadewanne liegend las ich das Manuskript, während Georg im nächtlichen Garten halb nackt Mandarinen von den Bäumen pflückte. Der Roman handelte von einem englischen Adligen, der sich in ein armes Dorfmädchen verliebt und sie auf
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