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Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)

Titel: Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel (German Edition)
Autoren: Tex Rubinowitz
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Nun war klar, was ich zu tun hatte. Ich sparte mir Bamberg für später auf, die Stadt läuft ja nicht weg und Bombardements waren aus der Mode gekommen, fuhr stattdessen Richtung Neustadt am Rübenberge, was ziemlich nah am «Meer» liegt und ebenfalls einen schwungvollen Namen hat, wickelte die Kugel dort in ein T-Shirt ein, ein Taschentuch, um den Akt noch authentischer zu machen, hatte ich natürlich nicht. Dann fuhr ich mit der Fähre hinüber zum Schloss Wilhelmsburg, fand den Kanonenkugelhaufen, packte meine aus und legte sie zurück. Ich bildete mir ein, dass sie ein seufzendes Geräusch machte, wie ein Tier, das nach ein paar Minuten der Schur oder ein paar Tagen Quarantäne wieder zurück zur Herde entlassen wird.

[zur Inhaltsübersicht]
    Die Entenmuschelkur
We went up that mountain to see Jesus Christ, which turns out to be quite smaller than either the statue of liberty or the Eiffel tower. Guillermo got an awful toothache, and drank two enormous glasses full of whiskey in the restaurant, as a sort of anaesthetic. He said it didn’t do anything for the pain, just turned him into a drunk with a toothache.
Donald Baechler

    Es ist Februar, ich bin krank. Eine schwere Lungenentzündung hat mich in ihrem gichtigen Würgegriff, ich huste mich um den Verstand. Meine an und für sich granitene Kehle ist so wund, dass das, was sie da so regelmäßig produziert und auswirft, ein kompaktes Quantum bronchialen Eiters darstellt, würfelförmig fast, ich warte auf Blut, hätte dann eigentlich jetzt mal langsam kommen können, dass das auch erledigt wäre. Die verquollene, eiskalte Denkniere ist dicht, komplett zu, ich höre dumpf, das Auge, über das sich zum Schutz die Nickhaut geschoben hat, gebrochen, Schwitzen und Frösteln lösen sich in Wellen ab, Glieder geschwollen, Gelenke versulzt, kochend heiße Füße, triefäugig, kurzatmig, rasselnd, hängetittrig, truthahnhalsig, schludrig, trostverlassen, alles kommt zusammen. Ich bin der Schatten eines Wracks im Zwielicht meines eigenen Mitleids, oder so ähnlich, niemand hilft mir, nichts geht mehr, ich bin alleine, fünfzig Jahre, nichts geleistet, hier kommt deine Strafe, Kafka kam nur bis Kierling, ich buche einen Flug nach Porto.
    Ich besinne mich für meine letzte Stunde auf diese Stadt, weil ich hier zum ersten Mal ankam. Der Ring schließt sich («Ringen sluttet», Knut Hamsun), hier am Rande Europas fühlte ich mich zum ersten Mal wohl. Wie sang einst der große Genesis P. Orridge: «When all the numbers swim together and all the shadows settle», und jetzt sollte der gehetzte Schatten einer niedrigen Nummer hier endlich Ruhe finden. Porto befriedigte offenbar bestimmte Bedürfnisse, aber wodurch, wusste ich damals nicht, und ich weiß es bis heute nicht genau, irgendein okkultes Zusammenspiel von rätselhaften Sinneseindrücken und einer improvisierten Ordnung in aller Kaputtheit (die DDR löste das bei mir übrigens auch immer aus). Das gekachelte Land, immer wieder schmiege ich mich an die kühlende, trostspendende Fliese.
    Dabei kenne ich Portugal, das restliche Land, überhaupt nicht, ich weiß nicht einmal, ob Lissabon überhaupt existiert. O.k., die Azoren kenne ich, sogar gut, na ja, zumindest vier von neun Inseln. Auf den Azoren habe ich sogar ein Konto eröffnet, Banco Comercial dos Açores, auf das ich immer wieder Geld transferiere, vom meinem anderen Konto, jenem auf den Åland-Inseln, Ålandsbanken, oder von diesem auf die Azoren, wo ich halt gerade bin, kleine Summen natürlich, und das auch nur, weil ich mir während des Überweisungsvorgangs eine selten benutzte Pipeline vorstelle, durch die das Sümmchen tröpfelt, dieser kaum beachtete Transfermuskel, einer muss ihn doch in Bewegung halten, dass ich also einer der wenigen bin, wenn nicht gar der Einzige, der dieses Nebengeleis überhaupt noch befährt (Mitleid mit Dingen).
    Mit sechzehn war ich zum ersten Mal in Porto. Ich kaufte mir natürlich gleich eine Flasche Portwein meines Jahrgangs, diese schönen schwarzen Flaschen mit den groben, mit Schablonen aufgemalten Basisinformationen, PORTO 1961, macht das nicht jeder? Bei mir kam noch dazu, dass ich sechzehn Jahre nach Kriegsende geboren wurde, und 16 von hinten ist 61, das musste gefeiert werden. Ich leerte die schöne Flasche auf einen Sitz, dieser warme, süße Wein, spürte dann eigentlich gar nichts, bekam lediglich Sodbrennen und belegte Ohren. Vielleicht war’s ja alkoholfreier Wein, das glaube ich aber nicht, all die
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