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Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Titel: Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)
Autoren: Pascale Hugues
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werden, wenn diese Firma dort ihr zerstörerisches Bauprojekt beginnt. Die jüdische Berlinerin wurde 1937 von der Gestapo zur Emigration gezwungen.» Man könnte den Genossen noch etwas Wasser auf die Mühle gießen, indem man ihnen einflüstert, dass auch der Führerbunker in Berlin, die Wolfsschanze und der Berghof Konstruktionen der Hochtief AG sind, wie die Firma auf ihrer eigenen Homepage selbst bekennt.
    Ist das Gebäude geräumt, sind die Fassaden ohne Fenster, beginnen die Abrissarbeiten. Rund ums Rondell werden Mulden und Lastwagen abgestellt. Das Haus wird bis in die Eingeweide durchgeschüttelt. Die Schlaghämmer nehmen ihre trotzige Arbeit in Angriff. Sie zerschlagen die Fliesen, zertrümmern die Wände, zerstören die Decken, reißen die Rohrleitungen und das Eisen heraus. Dann kommen die Bagger und mit ihnen die Kinder aus dem Kindergarten mit ihren Erzieherinnen, die offenen Mundes zusehen, wie die Scheren dieser riesigen Krabben vorsichtig ganze Fassadenstücke ergreifen. Die prähistorischen Monster aus einem Science-Fiction-Film legen das alte rebellische Haus nieder. Jeden Morgen um 8  Uhr 15 parkt ein grüner Landrover am Gehsteigrand. Vater, Mutter und zwei kleine Jungen kommen, um zu beobachten, wie die Arbeit vorangeht. Und jeden Morgen schreien die Kleinen, wenn ihre Eltern sie zwingen, in den Wagen zu steigen. Ich höre die sanfte Stimme der Mutter: «Aber ihr Süßen, wir kommen doch morgen wieder.» Am nächsten Morgen um Punkt 8  Uhr 15 drücken die beiden Jungs wieder die Gesichter ans Gitter. An der Brandmauer des Nachbarhauses der Nummer  4 kommt plötzlich ein mehrere Jahrzehnte altes Schild
Bäckerei – Konditorei
zum Vorschein. Auf die Bäume, die Balkone, die Autos in meiner Straße legt sich ein Staubfilm. Mein Nachbar, mit dem ich morgens oft die Fahrt im Aufzug zurücklege, fragt mich, was diese große weiße Wolke am Ende der Straße zu bedeuten habe. Er nimmt auf dem Weg zur Arbeit immer die Straße in der Gegenrichtung. Er war der einzige, der nichts mitbekommen hat.
    Während der drei Wochen des Abrisses bildeten sich vor der Baustelle kleine schwatzende Grüppchen. Jeder hatte das Bedürfnis, seine Meinung kundzutun, seine Betroffenheit oder Besorgnis zum Ausdruck zu bringen. Verbindungen knüpften sich. Neue Sympathien entstanden. Gisa aus der Nummer  12 lud spontan zu einem Kaffee bei ihr ein. Monika schlug vor, die Fotos, die sie aufgenommen hat, zirkulieren zu lassen. Nie hat der «Pennerpark» einen solchen Andrang erlebt, und nie fühlte sich unsere Straße so sehr zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt. Die Passanten kommentierten den Abriss: «Wenn es wie beim Willy-Brandt-Flughafen zugeht, können Sie so bald nicht einziehen!», warf ein Zyniker den Arbeitern zu. «Wenn man bedenkt, wie lange man braucht, um so ein Gebäude zu bauen, und in ein paar Tagen liegt es in Trümmern. Eindrucksvoll! So stellt man sich Berlin nach dem Krieg vor!», wunderte sich ein Alter, der das eigenartige Gefühl eines
Déjà-vu
hatte. Die Nummer  4 glich auf den Fotos den Nachkriegsruinen. «Det sieht man nücht jeden Tag. Icke wollte och ein paar Fotos schießen.» Ein Fotograf stellte jeden Tag sein Stativ auf. Die Passanten verewigten den Moment mit ihrem Handy. Die Straßenkehrer gönnten sich eine vormittägliche Pause: «Sie kriejen een Eenfamilienhaus für den Preis! Aber bitte!»
    Wer wird hier einziehen? Junge, gutverdienende Familien, die Bioläden, Sushi-Bars, Yogakurse und zweisprachige Kindergärten frequentieren. Jeder wirft wie bei einer Versteigerung einen Quadratmeterpreis in die Runde. 3000  Euro, schreit der eine. 4000 , überbietet ihn der nächste. 5000 ! Unsere Straße wartete auf den Schlag mit dem Elfenbeinhammer des Auktionators.
    Eines Tages sprach mich ein kleiner, in einen dicken Mantel gewickelter Pole an, der froh war, ein aufmerksames Ohr für die frohe Botschaft der Zeugen Jehovahs gefunden zu haben. Er schenkte mir ein Faltblatt auf Französisch: «Ist es das, was Gott für mich und die gesamte Menschheit vorgesehen hat?
    Wo finde ich Hilfe, um meine Schwierigkeiten zu bewältigen?
    Kann man hoffen, dass eines Tages der Friede herrscht auf Erden?»
    Ich entdeckte in seinen Schriften ein paar Gebote, die das Gewissen etlicher Benutzer unseres «Pennerparks» aufrütteln könnten: «Weisen Sie zurück, was Jehova hasst: den Gebrauch von Tabak, Alkohol und selbst der sogenannten sanften Drogen.» Und wenn ein Passant turbulente
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