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Ruf Des Dschungels

Ruf Des Dschungels

Titel: Ruf Des Dschungels
Autoren: Sabine Kuegler
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holte ich die Zeitschrift aus dem Rucksack, die ich in München am Bahnhof noch schnell gekauft hatte. Ich begann die glänzenden Seiten durchzublättern – perfekte Models, farbenfrohe Mode, Werbung für die neuesten Cremes, die in vier Wochen deutlich weniger Falten versprachen. Dann blieb mein Blick hängen – an einem Artikel über mein letztes Buch,
Dschungelkind.
Mein Gesicht sprang mich geradezu vom Buchumschlag an. Ich starrte darauf und fühlte mich mit einem Mal seltsam entfremdet von der jungen Frau auf dem Foto. Mir fiel die Reaktion meiner Mutter ein, als ich ihr am Telefon erzählte, dass mein Buch auf der Bestsellerliste stehe. »Oh wie schön, Sabine«, antwortete sie beiläufig und fuhr dann fort: »Weißt du, was der Arzt heute zu mir gesagt hat?«
    Die Erinnerung an diese Situation brachte ein Lächeln auf mein Gesicht. Natürlich wusste ich, dass meine Eltern stolz auf mich waren, doch wie sagte Mama mal so schön? Ihr sei es wichtiger, dass ich privat glücklich bin, das bedeute mehr als beruflicher Erfolg, und sei der noch so groß. Und überhaupt, nach all den Jahren, die sie im Dschungel verbracht hatte – was mochte ihr da schon eine Bestsellerliste sagen?
    Meine Gedanken wanderten nach West-Papua zurück, zu meiner Zeit bei den Fayu.
    Ich habe meine Kindheit nie als ungewöhnlich empfunden, schließlich kannte ich nichts anderes. Erst die Reaktionen auf mein Buch haben mir gezeigt, wie einzigartig meine Kindheit gewesen sein muss. Immer wieder werde ich gefragt, ob ich es meinen Eltern verüble, dass ich ihretwegen in der Wildnis aufgewachsen bin. Warum aber sollte ich diese aufregende und wunderschöne Phase meines Lebens bedauern? Natürlich war es für mich nicht leicht, mich nach einer Kindheit im Dschungel in der westlichen Welt zurechtzufinden. Es hatte mehr als zehn Jahre gedauert, mich in dieser fremden, sonderbaren Kultur zurechtzufinden – an sie gewöhnt habe ich mich immer noch nicht. Das, was ich in meinem bisherigen Leben tatsächlich bedaure, ist, dass ich nicht zurück nach Hause zu meinem Stamm gegangen bin, als ich mit der Schule fertig war. Wann immer ich dies jedoch meiner Mutter gegenüber erwähne, erinnert sie mich daran, dass man erst am Ende seines Lebens anfangen sollte, dies oder jenes zu bedauern. »Schließlich weißt du nie, was dich alles noch erwartet und welche Aufgaben du noch zu erfüllen hast.«
    Als ob ich irgendetwas wahrhaft Bedeutendes tun könnte,
dachte ich mir,
ich habe ja noch nicht mal mein eigenes Leben im Griff.
Das einzig wirklich Gute, was ich bisher zustande gebracht hatte, waren meine Kinder.
    Ich beobachtete, wie sich die Sonne allmählich hervorwagte, wie sich die ersten gelben Strahlen ihren Weg durch den dichten Morgennebel bahnten. Ein herrlicher Anblick, aber noch war es ziemlich kalt. Ich schauderte und zog meine Jacke fester um mich. Die Augen fielen mir zu, und der Schlaf ergriff von meinem Körper Besitz.
     
    Wenige Stunden später erreichte ich mein Ziel, den Frankfurter Flughafen. Ich nahm meinen Rucksack, hievte den Koffer vom Sitz neben mir, stieg aus dem Zug und machte mich auf den Weg in die Abflughalle. Da ich sehr früh dran war, waren die Check-in-Schalter für meinen Flug noch nicht geöffnet. Also stand ich herum und wartete. Ich beobachtete die Menschenmassen, die sich an mir vorbeischoben, hektisch, ungeduldig, ständig in Bewegung. Selbst nach all den Jahren, die ich nun schon in Europa lebe, habe ich mich nicht an diese Geschäftigkeit und diese Eile gewöhnen können. Wieder musste ich an meine Mutter denken und fragte mich, wie sie das damals mit uns drei Kindern bewältigt hat. Zuerst von Nepal nach Deutschland, und zwei Jahre später dann nach West-Papua. Immer wenn wir darüber sprechen, betont sie, wie wohlerzogen wir waren – ganz im Gegensatz zu meinen eigenen Kindern. Ich musste lächeln. Ja, meine vier sind in der Tat wild, aber sie sind wunderbare Kinder, die mein Leben mit so viel Freude und Fröhlichkeit füllen.
    Ich holte mein Handy hervor und tippte die ersten SMS -Abschiedsgrüße an ein paar Freunde. Endlich wurde mein Flug aufgerufen, und ich reihte mich in die Schlange am Check-in ein.
    Nach dem Start lehnte ich mich in meinem Sitz zurück und schloss die Augen. Der Flug würde voraussichtlich elf Stunden dauern.
     
    In Bangkok legten wir einen zweistündigen Zwischenstopp zum Auftanken ein, und die Passagiere verließen die Maschine, um sich die müden Beine zu vertreten. Dabei fiel
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