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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten
Autoren: Marcel Feige
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Mann glaubte ihm kein Wort.
    »Dann würdest du genauso aussehen.«
    »Besser nicht.« Dehnen ließ ein falsches Lachen ertönen.
    »Hör mal, ich muss weiter.« Er schob den Jackenärmel zurück. Die Uhr zeigte 12.18 Uhr. »Fankow wartet auf mich.«
    »Ja, das tut er.« Dehnen begann wieder, seine Negative wie ein Puzzle über die Leuchtscheibe zu schieben. »Mach dich auf was gefasst.« Vielleicht sollte es wie eine Warnung klingen, doch Philip bekam noch mit, wie der Fotograf grinste, dann marschierte er den Flur entlang, entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, nicht von diesem Arschloch. Piss doch die Wand an.
    Die Tür zu Fankows Zimmer stand einen Spalt weit offen. Als Philip eben anklopfen wollte, erschallte Fankows Stimme: »Komm herein!«
    Sein Chef saß hinter massivem Eichenholz fast verborgen und studierte Unterlagen, die ihm ein Stirnrunzeln bescherten. Ohne den Blick zu heben, wies er auf einen der beiden Stühle, die vor dem Schreibtisch standen.
    Philip hüstelte. »Guten Morgen, Herr Fankow, tut mir Leid, dass es ein bisschen später geworden ist.«
    »Ist schon okay«, murmelte Fankow. Er sah aus, wie man sich einen alternden Rockstar vorstellen mochte. Der Fünftagebart kratzte in seinem Gesicht unter den tief liegenden Augen, die letzten Nächte in der Redaktion waren wohl lang gewesen, darüber konnte auch die getönte Brille auf seiner Nase nicht hinwegtäuschen. »Ist ja auch erst zwölf Uhr…«
    »Ich bringe die Fotos gleich in die Dunkelkammer und…«
    »Nicht mehr nötig«, unterbrach ihn Fankow. »Die Panoramaredaktion hat bereits Agenturbilder von dpa.«
    »Sie haben…«
    Fankow hob warnend die Hand. Noch immer vermied er jeden Blickkontakt. »Natürlich haben sie Bilder von dpa. Was meinst du denn? Wir haben es 12 Uhr mittags, in einer Stunde ist Redaktionsschluss im Panoramaressort. Glaubst du wirklich, die warten dort, bis unser verehrter Volontär seine Bilder anschleppt?«
    Jedes Wort ein Peitschenhieb. »Und… Ich meine…« Philip schluckte. Was sollte er bloß sagen? »Wieso bin ich dann gekommen?«
    Falsche Frage! Fankows Haupt flog empor, seine Brauen hingen auf Stirnhöhe. »Ist das dein Ernst?«
    Warum nur zweifelte heute jeder an seiner Ernsthaftigkeit? »Wissen Sie, ich meine…«
    Fankows Hand donnerte auf den Tisch. Keine zwei Sekunden später schob Sieglinde Löffler, die Sekretärin, ihren Kopf ins Zimmer. »Ist was passiert?«
    »Alles bestens, danke!« Fankows Stimme klang süß wie Honig. »Du könntest mir einen Gefallen tun, Sieglinde. Schließe bitte die Tür.«
    Ein leises Klicken ertönte, und der Honig verwandelte sich in schmieriges Öl, das sich über Philip ergoss: »Was du meinst, interessiert mich offen gestanden nicht.« Fankows Augen bohrten sich in die von Philip, der sich tiefer in den Sessel drückte. Er kam sich mit einem Mal entblößt und ausgeliefert vor. Verlassen und einsam fühlte er sich, kraftlos, und er bereute es, nicht mehr als anderthalb Zwieback gegessen zu haben. »Ich weiß nicht, was du denkst. Und im Grunde will ich es auch nicht wissen.«
    »Aber…«
    »Wie ich schon sagte, es ist zwölf Uhr.« Er trug eine weiß gepunktete Krawatte mit passendem Einstecktuch im Blazer, den er jetzt richtete. »Das Panoramaressort hat um 13 Uhr Redaktionsschluss. Willst du behaupten, du hättest das vergessen?«
    »Nein, aber…«
    »Schön! Und trotzdem liegen die Bilder nicht vor.«
    »Ja, aber…«
    »Gehe ich also recht in der Annahme, dass dein Wochenende mal wieder ein bisschen zu heftig war.«
    »Das hat doch damit gar nichts zu tun.«
    »Ach, hat es nicht?«
    »Nein.«
    Fankow nickte. Sein Blick löste sich dabei nicht einen Millimeter von Philip. »Junge, ich will dir eines sagen. Du absolvierst bei uns ein Volontariat. Nach einer Ausbildung beim Kurier schlecken sich andere angehende Fotografen die Finger, das kannst du mir glauben. Denn ein Volontariat beim Kurier bedeutet, du steckst mitten im Berliner Leben. Heute Gerhard Schröder im Bundeskanzleramt, morgen Giorgio Armani in der Nationalgalerie. Und übermorgen triffst du den russischen Paten in Charlottenburg und bringst das Foto deines Lebens. Kapiert?«
    Philip wagte nicht zu atmen.
    »Und was machst du? Du trittst das Volontariat mit Füßen. Ich hoffe, du bist dir dessen bewusst. Bist du es?«
    Reflexartig nickte Philip.
    Fankows Stimme wurde sanfter. »Ich hoffe, du kapierst es wirklich. Ansonsten bist du deinen Job schneller los, als du denkst.«
    Philip nickte mit
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