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Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition)
Autoren: Yalda Lewin
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taten. Ein über lange Zeit verinnerlichter Vorgang, der irgendwann völlig unbewusst ablief. Ich bewunderte die Eleganz von Tänzern und flirtete insgeheim selbst schon länger mit der Idee, Tango Argentino zu lernen. Die Flüssigkeit der Bewegungen faszinierte mich, die Klarheit der Impulse und nicht zuletzt die Melancholie der Musik. Aber das war im Moment eher utopisch. Mir fehlte die Zeit, das Geld – und außerdem drehte sich mir beim bloßen Gedanken an einen Tanzkurs mit unzähligen Fremden der Magen um. Später vielleicht. Irgendwann.
    In diesem Moment trat Maren vom Klavier zurück, schritt die wenigen Stufen von der Bühne herunter und steuerte schnurstracks auf den Tresen zu. Als sie Max und mich sah, verlangsamte sie ihre Schritte und für einen winzigen Augenblick hatte ich den Eindruck, dass sie unsicher wurde. Dann straffte sie die Schultern und setzte ihren Weg umso selbstsicherer fort.
    »Das ist ja eine Überraschung«, sagte sie, als sie bei uns angekommen war.
    Max beugte sich vor und versuchte, sie auf die Wange zu küssen, doch Maren wich ihm aus.
    »Das haben wir doch geklärt, Max. Vergiss es!«
    Ihr Blick hing an mir und erneut fielen mir ihre leicht mandelförmigen Augen auf, in deren samtbrauner Tiefe ein Geheimnis zu funkeln schien.
    Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals. Ich atmete tief durch und versuchte ein Lächeln.
    »Ich wollte eigentlich nur Max treffen.«
    Mein Mitbewohner war ein wenig auf seinem Barhocker zusammengesunken, doch nur wer ihn besser kannte, merkte, dass ihn die Zurückweisung durch Maren getroffen hatte.
    »Prima. Soll ich wieder gehen?«, antwortete Maren belustigt, während das Funkeln in ihrem Blick sich verstärkte.
    »Nein!«, sagte ich – etwas zu hastig, wie mir dann auffiel, denn Max musterte mich prüfend.
    »Moment mal. Ihr kennt euch?«, sagte er und deutete mit dem Zeigefinger zwischen Maren und mir hin und her.
    »Ja«, sagte Maren, während ich zeitgleich ein »Nein« hervorstieß. Es folgte ein Moment beklemmender Stille.
    Max hob eine Braue und nahm einen Schluck von seinem Bier.
    »Interessant. Erklärungen? Wie lernt man einen Rosenboten so schnell näher kennen? Sogar so gut, dass dieser es auf gar keinen Fall vor mir zugeben würde?«
    »Ich glaube zwar nicht, dass dich das etwas angeht, aber wir studieren zusammen«, antwortete Maren kühl. »Jakob und ich besuchen dasselbe Seminar über mittelalterliche Notation. Und wenn es dich beruhigt: Es ist todlangweilig.«
    »Findest du?« Ich runzelte die Stirn. »Es ist doch recht spannend. Also, wenn man die verschiedenen Systeme erst einmal verstanden hat …«
    Maren schüttelte den Kopf. »Ganz ehrlich? Mir ist das alles vollkommen schleierhaft. Mensural- und Quadratnotation, Vorfranconisch, Franconisch und Französisch – wo ist da eigentlich der Unterschied? Italienisch, Gemischt …«
    Sie seufzte theatralisch und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
    »Du hast die manierierte Notation vergessen«, sagte ich.
    »Mit Manierismen kennt Jakob sich aus«, konstatierte Max trocken. »Maren, ich warne dich, der Typ ist ein Freak. Das willst du dir nicht wirklich antun.« Er rutschte mit einer angesichts der Situation bemerkenswerten Lässigkeit von seinem Barhocker. »Ich bin kurz weg. Benehmt euch anständig.«
    Wenn seine Bemerkung über den Manierismus zum Ziel gehabt hatte, mich zu diffamieren, dann war das Manöver nicht geglückt. Maren blickte Max kurz hinterher, dann legte sie den Kopf schief und grinste mich an. Die Wärme in ihrem Blick raubte mir fast den Atem.
    »Keine Sorge, dein Mitbewohner ist ein Frauenheld und wird es verschmerzen. Aber über die mysteriösen Manierismen eines gewissen Jakob R. wüsste ich gerne mehr.«
    Ein Druck legte sich auf meine Brust. Die ganze Sache lief in eine vollkommen falsche Richtung – oder doch nicht? Ich war nicht sicher. Es war einer dieser Momente, in denen man ganz deutlich mitbekommt, dass man gerade auf eine mittlere Katastrophe zusteuert. Alles um einen herum verlangsamt sich und auch man selbst bewegt sich in Zeitlupe, wie unter Wasser, schnappt nach Luft, wehrt sich nach Kräften, um das Schlimmste abzuwenden, doch es ist längst zu spät – der Aufprall ist unausweichlich.
    Marens Lippen samtig auf meinen. Sie lehnte sich an mich und eine Strähne ihres dunklen Haares kitzelte mein Ohr. Es war nur ein Moment, ein kurzer Kuss – und doch glühte er noch Stunden später nach.
    »Und was ist mit Max?«, fragte ich, als Maren
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