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Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition)
Autoren: Yalda Lewin
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trotz noch warmer Temperaturen alle Besucher in diesem dunklen, schlauchartigen Raum aufhielten, anstatt den von Pflanzen überwucherten Innenhof zu genießen. Ein Rätsel, das mir nach wie vor verborgen blieb.
    Die Stimmung war gut und der Geräuschpegel schon jetzt so hoch, dass ich kaum noch differenzieren konnte, was aus welcher Richtung kam. Schallwellen aller Frequenzen brandeten mir entgegen und ich fühlte mich für einen Moment, als müsste ich gegen eine schwere Meeresströmung ankämpfen. Dann riss mich der Strudel aus Gelächter und Musik mit sich. Ich drängelte mich durch Gewühl und Rauchschwaden hin zur Theke – und tatsächlich, Max war hier. Er saß auf einem Barhocker, hatte einen Ellbogen auf den Tresen und das Kinn in die Hand gestützt und las so seelenruhig in einem Buch, als wäre um ihn herum nicht die Hölle los. Als ich mich neben ihn stellte, blickte er auf und verzog die Mundwinkel zu einem amüsierten Grinsen. »Jakob. Ich hätte nicht gedacht, dass du noch einmal herkommst.«
    Ich auch nicht , dachte ich, zuckte aber betont gelassen mit den Schultern. »So schlimm ist es nicht. Ich kann was ab.«
    Was so nicht stimmte. Schon in meiner Kindheit hatte sich gezeigt, dass ich ein wenig anders war als andere Menschen. Feinfühliger, vorsichtiger, achtsamer. Ich registrierte viel deutlicher als andere, was um mich herum geschah, und nahm oftmals Dinge wahr, für die anderen die Antennen fehlten. All das hatte aber auch seine negativen Seiten: Ich reagierte viel heftiger auf alle möglichen Einflüsse, Zigarettenrauch zum Beispiel, der Geruch intensiven, schweren Parfums, plötzlicher Lärm oder zu grelles Licht. Und das machte auch den Besuch des »Waschsalons« für mich zu einer Herausforderung, die für andere kaum nachzuvollziehen war.
    Ich musste mich damit arrangieren, denn langfristig gesehen konnte ich weder weglaufen noch mich ewig zu Hause verkriechen. Es war mein Leben und ich musste mich ihm stellen. All seinen Facetten. Dass ich mir für das Studium ausgerechnet Berlin, diese laute und dreckige Stadt voller Verrückter, ausgesucht hatte, glich einer brutalen Eigentherapie. Ich hatte es nicht anders gewollt.
    An diesem Abend war nun also die Jazz-Bar meine Herausforderung. Und ich war wild entschlossen, sie zu bestehen.
    Max grinste breit, klappte sein Buch zu und deutete mit einem Kopfnicken auf die kleine Bühne am Ende des Raumes.
    »Wie sieht’s aus, machst du heute Abend mit?«
    Einige Musiker waren gerade dabei, ihre Instrumente zur wöchentlichen Jamsession auszupacken.
    »Vielleicht … keine Ahnung«, sagte ich ausweichend.
    Ich hatte meine Klarinette zwar mitgenommen, aber der Gedanke, einfach so bei einer Jazzsession einzusteigen, erschien mir mehr als abwegig. Auf eine solche Bühne gehen? Ich? Mich in den Fokus der Aufmerksamkeit all dieser Menschen hier begeben, dorthin, wo die Blicke unzähliger Fremder sich wie kleine Splitter auf die Haut legten? Ich war nicht sicher, ob ich das wirklich wollte. Doch auch was das anging, würde ich einen entscheidenden Schritt nach vorne machen müssen, wenn mein Musikstudium jemals weiterführen sollte als in das selbst erwählte Exil meiner eigenen vier Wände …
    Ich musterte die Leute auf der Bühne. Ein sympathisch aussehender Saxofonist, den ich schon bei meinem ersten Besuch hier gesehen hatte, ein rotgesichtiger Trompeter mit schwarzer Lederjacke, bei deren Anblick es mir sofort den Schweiß auf die Stirn trieb – und eine Frau hinter dem Klavier. Sie trug ein nachtblaues Kleid, dessen matter Stoff ihr elegant um die Hüfte floss.
    Als sie sich umdrehte, zog ich scharf den Atem ein. Mein Herzschlag beschleunigte sich.
    Maren! Verdammt!
    Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wieso alle Berlin als »Dorf« bezeichneten. Diese Stadt war eines. Über kurz oder lang traf man jeden wieder. Und nun war mir auch klar, weshalb Max sich so gerne in dieser Kneipe herumtrieb.
    Ich ließ den Blick über das Profil von Marens Gesicht gleiten und dann, als sie nach ihren Noten kramte und uns wieder den Rücken zuwandte, den Nacken hinab, über die Hüfte bis hin zu ihren langen Beinen. Schon im Seminar war mir aufgefallen, dass sie sich auf diese besondere, fließende Art bewegte, wie sie Tänzern eigen ist. Ich hätte wetten können, dass Maren in ihrer Kindheit beim Ballett gewesen war. Es war diese unverkennbare Art, die Fußspitzen beim Gehen ein wenig nach außen zu wenden und die Hüfte anders auszurichten, als Nichttänzer es
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