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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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wenn sie mich hier glücklich sehen, mir mein Glück länger gönnen werden? Ach, es ist wenig, daß man mir gestattet, hier zu leben; ich wünschte, man verurtheilte mich dazu, und möchte gezwungen sein, hier zu bleiben, um nicht gezwungen zu werden, fortzugehen!« Mit neidischem Auge blickte ich auf den glücklichen Michael Ducret, der, ruhig auf seinem Schlosse Arberg, nur den Willen zu haben brauchte, glücklich zu sein, um es wirklich zu sein. Kurz, dadurch daß ich mich solchen Betrachtungen und den beunruhigenden Vorahnungen von neuen Stürmen, die gegen mich heranzogen, überließ, gelangte ich zu dem unglaublich sehnlichen Wunsche, daß man mich auf dieser Insel nicht nur dulden, sondern sie mir zum ewigen Gefängnisse geben möchte; und ich kann schwören, wäre es nur auf mich angekommen, mich hierher verurtheilen zu lassen, so hätte ich es mit der größten Freude gethan, da ich den Zwang, meine übrigen Lebenstage hier zubringen zu müssen, tausendmal der Gefahr vorzog, von hier vertrieben zu werden. [Fußnote: In seinen »Träumereien« (fünfter Spaziergang) giebt er eine noch ausführlichere Schilderung der Insel Saint-Pierre und ergeht sich mit großer Befriedigung über das köstliche, reine und volle Glück, welches er während der zwei Monate seines dortigen Aufenthalts beständig genossen hat.]
    Diese Furcht erwies sich bald als nicht ungegründet. In dem Augenblicke, wo ich es am wenigsten erwartete, erhielt ich einen Brief von dem Herrn Landvogt zu Nidau, zu dessen Verwaltungsbezirk die Insel Saint-Pierre gehört, in dem er mir den Befehl ihrer Excellenzen ankündigte, die Insel und ihre Staaten zu verlassen. Beim Lesen desselben glaubte ich zu träumen. Nichts war weniger natürlich, weniger vernünftig, weniger vorausgesehen als ein solcher Befehl, denn ich hatte meine Ahnungen mehr für die Beängstigungen eines durch sein Unglück erschreckten Mannes gehalten als für eine Voraussicht, die auch nur den geringsten Grund hatte. Die Maßregeln, die ich ergriffen hatte, um mir die stillschweigende Einwilligung der Staatsbehörde zu verschaffen, die Ruhe, mit der man meine Niederlassung mitangesehen hatte, die Besuche mehrerer Berner und des Landvogts selber, der mich mit Freundschaftsbeweisen und Zuvorkommenheiten überhäuft, die Strenge der Jahreszeit, in der die Landesverweisung eines kränklichen Mannes barbarisch war, alles ließ mich mit vielen andren Leuten glauben, daß es sich bei diesem Befehle um ein Mißverständnis handelte und die Uebelgesinnten gerade die Zeit der Weinlese und der Unvollständigkeit des Senats gewählt hätten, um mir diesen Schlag plötzlich zu versetzen.
    Hätte ich auf meine erste Entrüstung gehört, so wäre ich auf der Stelle abgereist. Aber wohin gehen? Was sollte beim Eintritt des Winters ohne Ziel, ohne Vorbereitung, ohne Führer, ohne Wagen aus mir werden? Wollte ich nicht alles, meine Papiere, meine Habseligkeiten, alle meine Angelegenheiten in Stich lassen, so bedurfte ich Zeit, um dafür zu sorgen, und in dem Befehle war nicht ausgesprochen, ob man mir eine Frist gewährte oder nicht. Die Fortdauer meines Unglücks begann meinen Muth mehr und mehr zu schwächen. Zum ersten Male fühlte ich, wie sich mein angeborener Stolz unter das Joch der Notwendigkeit beugte, und trotz der Einsprache meines Herzens mußte ich mich zu der Bitte um Aufschub erniedrigen. Denselben Herrn von Graffenried, der mir den Befehl zugesandt hatte, ersuchte ich um genauere Auslegung desselben. In seinem Antwortsbriefe redete er über diesen Befehl, den er mir nur mit größtem Bedauern mitgetheilt, sehr mißbilligend; und die Bezeigungen des Schmerzes und der Achtung, von denen das Schreiben erfüllt war, schienen mir eben so viele gar freundliche Einladungen zu sein, mich ganz offen gegen ihn auszusprechen; ich that es. Ich zweifelte gar nicht daran, daß mein Brief diesen unbilligen Menschen die Augen über ihre Grausamkeit öffnen würde, und daß, falls man einen so barbarischen Befehl auch nicht widerriefe, man mir doch wenigstens eine vernünftige Frist und vielleicht den ganzen Winter bewilligte, um mich zu meinem Abzuge vorzubereiten und eine andere Zufluchtsstätte zu wählen.
    In Erwartung der Antwort begann ich über meine Lage und den Entschluß, den ich zu fassen hatte, nachzudenken. Nach allen Seiten hin sah ich so viele Schwierigkeiten, der Kummer hatte mich so hart angegriffen, und ich befand mich in diesem Augenblicke so leidend, daß ich mich ganz
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