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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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soll beim Besuche seiner Diöcese eine alte Frau gefunden haben, die statt jedes Gebetes nichts als immer wieder »O« zu sagen wußte. Zu ihr sagte er: »Gute Mutter, fahret so zu beten fort; euer Gebet ist Gott angenehmer als unseres.« Solches Gott angenehmere Gebet ist auch das meinige.
    Nach dem Frühstücke beeilte ich mich, unlustig einige mir widerwärtige Briefe zu schreiben, mich leidenschaftlich nach dem glücklichen Zeitpunkte sehnend, wo ich keine mehr zu schreiben brauche. Ich machte mir einige Augenblicke etwas um meine Bücher und Papiere zu schaffen, mehr um sie auszupacken und zu ordnen, als um sie zu lesen; und diese Beschäftigung, die für mich zur Arbeit der Penelope wurde, gewährte mir das Vergnügen, eine kurze Zeit zu vertändeln, worauf ich mich langweilte und mit ihr aufhörte, um die drei oder vier Morgenstunden, die mir noch blieben, unter dem Studium der Botanik und besonders des Linnéischen Systems zuzubringen, für welches ich eine Leidenschaft faßte, von der ich mich nie vollkommen habe heilen können, selbst nachdem ich das Lückenhafte in demselben erkannt hatte. Dieser große Beobachter ist meines Erachtens nebst Ludwig der einzige, der die Botanik bis jetzt vom Standpunkt des Naturforschers wie des Philosophen betrachtet hat, aber er hat sie zuviel nach den Herbarien und Gärten und nicht genug nach der Natur selbst studirt. Was mich anlangt, der die ganze Insel als seinen Garten benutzte, so eilte ich, sobald ich eine Beobachtung machen oder ihre Richtigkeit bestätigen wollte, mein Buch unter dem Arme in die Wälder oder auf die Wiesen. Dort legte ich mich neben der fraglichen Pflanze auf die Erde, um sie in aller Ruhe zu untersuchen. Diese Methode hat mir viel geholfen, die Pflanzen in ihrem natürlichen Zustande kennen zu lernen, bevor sie durch Menschenhand angebaut und dadurch entartet sind. Fagon, Ludwigs XIV. erster Leibarzt, der im Jardin Royal alle Pflanzen nach ihrem Namen und ihren Eigenschaften auf das Genaueste kannte, soll auf dem Lande von solcher Unwissenheit gewesen sein, daß er keine wiedererkannte. Bei mir findet gerade das Gegentheil statt. Von dem Werke der Natur kenne ich etwas, von dem des Gärtners nichts.
    Was die Nachmittage anlangt, so widmete ich sie gänzlich meiner Vorliebe für Müßiggang und meinem Hange, mich regellos dem Antriebe des Augenblickes zu überlassen. Bei ruhigem Wetter warf ich mich oft unmittelbar nach dem Mittagsessen allein in ein kleines Boot, das mich der Steuererheber gelehrt hatte mit einem einzigen Ruder zu führen, ich fuhr auf die Höhe des Sees hinaus. Der Augenblick, in dem ich vom Ufer abstieß, bereitete mir eine Freude, die bis zum Zittern ging, und deren Ursache ich außer Stande bin mir zu erklären oder einigermaßen zu begreifen, wenn es nicht vielleicht ein geheimes Glücksgefühl war, hier gegen die Angriffe der Bösen geschützt zu sein. Ich streifte dann allein auf diesem See umher und näherte mich bisweilen dem Ufer, ohne jedoch je zu landen. Oft ließ ich mein Boot auf den Wellen im Winde dahintreiben und gab mich ziellosen Träumereien hin, die, wenn auch thöricht, trotzdem nicht weniger köstlich waren. Oefters rief ich mit Rührung aus: »O Natur, o meine Mutter, hier stehe ich unter deinem Schutz allein, hier tritt kein listiger und schurkischer Mensch zwischen dich und mich!« Ich blieb so wohl eine halbe Stunde vom Lande entfernt; ich hätte gewünscht, der See wäre der Ocean gewesen. Meinem armen Hunde zu Liebe, der nicht ein eben so großer Freund von Wasserfahrten war wie ich, wählte ich mir indessen für meine Lustfahrten gewöhnlich ein bestimmtes Ziel. Dies pflegte die kleine Insel zu sein; an ihr landete ich, um auf ihr zwei oder drei Stunden zu lustwandeln oder mich auf dem Gipfel des Hügels auf den Rasen zu legen, in entzückender Bewunderung dieses Sees und seiner Umgebungen einzuschlummern, um alle Pflanzen, zu denen ich gelangen konnte, zu untersuchen und zu zergliedern und um mir wie ein zweiter Robinson in der Einbildung eine Wohnung auf diesem kleinen Eilande zu bauen. Dieser Erdhügel nahm mein ganzes Herz ein. Wie stolz war ich, wenn ich die Frau Steuererheberin und ihre Schwestern dorthin führen konnte, ihren Pilot und Wegweiser abzugeben! In feierlichem Aufzuge brachten wir Kaninchen nach der Insel, um sie zu bevölkern; ein Fest mehr für Jean-Jacques. Diese Bevölkerung machte mir die kleine Insel noch anziehender. Ich ging seitdem öfter und mit größerem Vergnügen
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