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Rott sieht Rot

Rott sieht Rot

Titel: Rott sieht Rot
Autoren: Oliver Buslau
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Schwimmkompass auf dem Aschenbecherdeckel vor dem Schaltknüppel und einer Sammlung von Musikkassetten mit Oldies.
    Ich pfiff gerade » A Whiter Shade of Pale « mit, als ich nach einer schönen Berg- und Talfahrt das Zentrum der Nachbarstadt Wuppertals erreichte, Remscheid sieht von weitem aus, als habe ein Riesenbaby auf einem Hügel wahllos Beton-Bauklötze verteilt. Zwischen den Quadern befinden sich Schneisen für den ständig fließenden Autoverkehr; teilweise sind es Ständerstraßen, die dem Ganzen das Flair eines gigantischen Autobahnkreuzes verleihen.
    Über den Hügel hinweg verläuft als schnurgerader Mittelscheitel die Alleestraße - Remscheids Fußgängerzone, die ihren Namen einer Doppelreihe von Bäumchen verdankt. Die gerade mal armdicken Stämme werden von Holzgestellen am Umknicken gehindert.
    Immerhin kann man von hier aus die schöne Aussicht über das Umland genießen. Ich hatte leider nichts davon, denn erstens war es dunkel, und die Aussicht beschränkte sich auf ein Meer von Lichtern, und zweitens würde ich nun neun Stunden in einer verbauten Straßenschlucht zubringen.
    Dafür gab es etwas anderes zu sehen: eine lange Reihe knallbunter Neonreklamen, die ihre Botschaften zu dieser Zeit ziemlich sinnlos einem Nichts entgegenschrien. Die Straße war menschenleer.
    Ich stieg aus und passierte das Fotogeschäft, in dessen Fenster lange Reihen schwarzer Objektive auf gläsernen Abstellflächen die Kundschaft vom Kauf überzeugen sollten. Ich erfuhr, dass es hier ein Porträt-Studio gab, und nahm die im Moment unwahre Information entgegen, dass Farbbilder in einer Stunde entwickelt werden konnten.
    Ich tauchte in das eisige Neonlicht der Straße ein und suchte den Laden der geschäftetreibenden Baronin. Er war nicht zu übersehen. »Brautmoden & Dessous Rosen-Winkler« warb eine riesige rote Schrift.
    Das Schaufenster erfreute sich frisch gewaschener Klarheit. Eine Schaufensterpuppe in blendend weißer Seide spielte Braut - die künstlichen Augen starr auf mich gerichtet und die Arme erhoben, als sei ich der willkommene Bräutigam. Weiter hinten waren Drehständer mit feiner Unterwäsche zu erkennen. An den Wänden hingen große Fotos mit sich rekelnden Models -manche lagen in hauchdünner Unterwäsche auf Natursteinen oder saßen unter Palmen. Dazwischen gab es eine große Abbildung einer Hochzeitskutsche inmitten einer Landschaft mit Wiesen, Wäldern und blauem Himmel. Das Paar hielt Sektgläser in die Höhe und blickte mich grinsend an.
    Ich registrierte unter dem Schaufenster die Reste der Verschandelung, die in den Mauersockel eingezogen waren und sich offenbar nicht so leicht hatten entfernen lassen. Schwarze, rote und gelbe Kringel waren übrig geblieben und sorgten für die Assoziation mit den Farben der deutschen Flagge.
    Es war zum Glück noch angenehm warm. Der Abend hätte mit sehr gutem Willen als spätsommerlich durchgehen können. Mit Wehmut vermischt kam mir der Gedanke, dass ich eigentlich einen Kurzurlaub hätte machen können, und wie von selbst gelangte ich auf der anderen Seite der Straße zu einem Reisebüro.
    In Regalen hinter den verwaisten, mit PCs ausgestatteten Schreibtischen standen aufrecht Dutzende Kataloge, auf den Titeln blendend weiße Strände mit knallblauem Meer; andere priesen Städtereisen an. Bei schönstem Wetter waren gut gelaunte Touristen im Begriff, in einen der typischen Londoner Busse zu steigen. Ein handgeschriebenes Plakat, vorn am Fenster befestigt, erinnerte: »Ab 9.11. die neuen Sommerkataloge holen!«
    Ich ging die Geschäfte entlang und bestaunte am Wursteck neben dem Eingang des Megastore gigantische Leuchtbilder von Hamburgern und Currywürsten mit Fritten. Die Pizza war vielleicht eine etwas dürftige Grundlage für eine solche Nacht gewesen.
    Nach einer Weile bemerkte ich, dass die Neonröhren ein leises Summen von sich gaben. Es wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen und vermischte sich mit dem sanften Rascheln des Windes, der durch das Laub der Bäume fuhr.
    Ich fand eine kleine Gruppe grüner Drahtstühle. Von dort konnte man den Laden der Baronin gut im Auge behalten. Leider war man aber auch mitten auf dem Präsentierteller. Immerhin konnte ich optimal auf die Zeit achten. Hinter den Stühlen befand sich auf einer hohen Säule eine beleuchtete Uhr mit römischen Ziffern, die Viertel nach zehn anzeigte. Darunter drehte sich, leise schabend, ein Würfel mit weiteren Reklametafeln.
    Gegenüber fand ich schließlich den richtigen
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