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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen
Autoren: Jo Nesbø
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Auto hat?«
    Harry lachte. »Du solltest eine eigene TV-Show haben, Ellen. Der heißt so, weil er jedes Mal gewinnt, wenn er einen ihrer Fälle übernimmt. Außerdem ist er verheiratet.«
    »Ist das sein einziges Minus?«
    »Das – und dass er uns jedes Mal an der Nase herumführt«, erklärte Harry und goss sich einen Becher von Ellens selbst gemischtem Kaffee ein, den sie beim Einzug ins Büro vor fast zwei Jahren mitgebracht hatte. Harrys Gaumen hatte sich so daran gewöhnt, dass ihm das übliche Zeug mittlerweile nicht mehr schmeckte.
    »War er Richter am Obersten Gerichtshof?«, fragte sie.
    »Noch ehe er vierzig war.«
    »Verdient er tausend Kronen?«
    »Done.«
    Sie lachten und prosteten sich mit den Pappbechern zu. »Könnte ich diese MOJO-Ausgabe haben?«, fragte sie.
    »In der Heftmitte sind Bilder von Freddy Mercurys zehn schlimmsten Posen: nackter Oberkörper, Hüfthalter und so weiter, das ganze Programm. Viel Spaß.«
    »Ich mag Freddy Mercury – mochte.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn nicht mochte.«
    Der kaputte blaue Bürostuhl, der sich schon seit langem mit der niedrigsten Sitzposition zufrieden gab, quietschte vor Protest, als Harry sich gedankenverloren nach hinten lehnte. Er zog einen gelben Zettel mit Ellens Schrift zu sich heran.
    »Was ist das?«
    »Lies doch. Møller will dich sprechen.«
    Harry trabte über den Flur, während er sich den zusammengekniffenen Mund und die zwei tief besorgten Falten vorstellte, die im Gesicht seines Chefs zu sehen sein würden, wenn dieser zu hören bekam, dass Sverre Olsen wieder auf freiem Fuß war.
    Am Kopierer hob eine junge rotwangige Frau rasch den Kopf und lächelte Harry zu, als er vorbeiging. Er kam nicht dazu zurückzulächeln. Vermutlich eine der neuen Sekretärinnen. Ihr Parfüm war süß und schwer und irritierte ihn. Er sah auf den Sekundenzeiger seiner Uhr.
    Soso, Parfüm begann ihn jetzt also schon zu irritieren. Was war eigentlich mit ihm geschehen? Ellen hatte behauptet, ihm fehle der angeborene Auftrieb, der den meisten Leuten von alleine wieder aufdie Beine half. Nach seiner Rückkehr aus Bangkok war er so lange down gewesen, dass er fast die Hoffnung aufgegeben hatte, jemals wieder hochzukommen. Alles war kalt und dunkel gewesen, alle Eindrücke irgendwie dumpf. Als ob er sich tief unter Wasser befunden hätte. Wenn jemand mit ihm sprach, waren die Worte wie Luftblasen gewesen, die aus den Mündern der Menschen quollen und nach oben ins Nichts entschwanden. So muss es sein, wenn man ertrinkt, hatte er gedacht und gewartet. Dann hatte er es noch einmal geschafft.
    Dank Ellen.
    Sie war in den ersten Wochen nach seiner Rückkehr für ihn eingesprungen, wenn er sich außerstande gefühlt hatte zu arbeiten und nach Hause gegangen war. Und sie hatte aufgepasst, dass er nicht in den Bars versackte, hatte ihm befohlen, sich selbst anzuhauchen, wenn er spät zur Arbeit kam, und ihm erklärt, was an welchem Tag zu tun oder zu lassen war. Ein paarmal hatte sie ihn auch wieder nach Hause geschickt. Es hatte seine Zeit gedauert. Und als sie an einem Freitag zum ersten Mal feststellen konnte, dass er eine ganze Woche lang nüchtern zum Dienst erschienen war, hatte sie zufrieden genickt. Zu guter Letzt hatte er sie geradeheraus gefragt, warum sie, die von der Polizeihochschule kam und sogar eine juristische Ausbildung absolviert und bestimmt eine interessante Zukunft vor sich hatte, sich freiwillig diesen Mühlstein um den Hals gebunden hatte. Begriff sie denn nicht, dass er ihrer Karriere eher hinderlich war? Hatte sie Schwierigkeiten, normale Freunde zu finden?
    Sie hatte ihn daraufhin mit ernster Miene angesehen und gesagt, dass sie das bloß täte, um von seiner Erfahrung zu profitieren, und dass er der beste Ermittler des ganzen Dezernats sei. Geschwätz, natürlich, aber es schmeichelte ihm dennoch. Außerdem war Ellen derart enthusiastisch und ehrgeizig in ihrer Ermittlungsarbeit, dass es kaum möglich war, sich nicht davon anstecken zu lassen. Im letzten halben Jahr hatte Harry sogar wieder begonnen, richtig gute Arbeit zu leisten. So wie bei Sverre Olsen.
    Dort hinten war die Tür von Møller. Harry nickte im Vorbeigehen einem uniformierten Beamten zu, der jedoch so tat, als sähe er ihn nicht.
    Als Teilnehmer von Big Brother hätte er sicher schlechte Karten gehabt, schoss es Harry durch den Kopf. Es hätte sicher kaum einenTag gedauert, bis alle sein schlechtes Karma bemerkt und ihn nach dem ersten Ratschlag nach Hause geschickt
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