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Rotkäppchen und der böse Wolf

Rotkäppchen und der böse Wolf

Titel: Rotkäppchen und der böse Wolf
Autoren: Agatha Christie
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Hausflur mit Linoleumfußboden. Die Frau führte Tuppence nach oben und öffnete eine Tür im ersten Stock.
    »Bitte, warten Sie einen Augenblick. Der Doktor wird gleich kommen.«
    Sie ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
    Ein sehr gewöhnliches Zahnarzt-Sprechzimmer, die Einrichtung etwas abgenutzt und schäbig.
    Tuppence blickte auf den Stuhl und dachte lächelnd, dass er diesmal nicht den gewohnten Schrecken für sie verbarg. Sie fühlte sich zwar »wie beim Zahnarzt«, aber aus ganz anderen Gründen.
    Nun würde gleich die Tür aufgehen und »Dr. Binion« hereinkommen. Wer war das wohl? Ein Ausländer? Oder jemand, den sie schon kannte? Halb und halb konnte sie sich ja denken, wer kommen würde…
    Die Tür öffnete sich.
    Aber der Eintretende war ein ganz anderer als der, den Tuppence verdächtigt hatte. Niemals hätte sie an diesen Menschen gedacht.
    Es war Commander Haydock.

14
     
    E ine Flut argwöhnischer Vermutungen wogte durch Tuppence’ Hirn. Also hatte Haydock bei Tommys Verschwinden eine Rolle gespielt!
    Dann aber schob sie all diese Gedanken entschlossen beiseite. Jetzt hieß es mit allen Sinnen gespannt aufpassen und auf der Hut sein.
    Würde Haydock sie erkennen oder nicht? Das war im Augenblick das Wichtigste.
    Sie hatte sich zuvor eisern darauf eingestellt, auf keinen Fall Erkennen oder auch nur die leiseste Überraschung zu verraten, wer immer auch kommen mochte, und so war sie jetzt sicher, dass sie sich der Lage angemessen verhielt.
    Sie erhob sich und stand in bescheidener Haltung da, recht wie eine brave deutsche Frau vor dem Herrn der Schöpfung.
    »Sie sind also gekommen«, sagte Haydock.
    Er sprach englisch und benahm sich in der gewohnten Weise.
    »Ja«, erwiderte Tuppence und fügte hinzu, als überreiche sie ihr Beglaubigungsschreiben: »Schwester Elton.«
    Haydock lächelte, als habe sie einen Witz gemacht. »Schwester Elton! Ausgezeichnet.« Er blickte sie wohl wollend an.
    »Sie sehen täuschend echt aus«, bemerkte er freundlich.
    Tuppence neigte den Kopf, sagte aber nichts. Sie wollte ihm die Führung des Gesprächs überlassen.
    »Sie wissen doch wohl, was Sie zu tun haben?«, fuhr Haydock fort. »Bitte, nehmen Sie Platz.«
    Tuppence setzte sich gehorsam. »Ich erwarte von Ihnen genauere Instruktionen«, sagte sie.
    »Sehr tüchtig«, sagte Haydock. Seine Stimme klang ein wenig spöttisch.
    »Sie wissen den Tag?«, fuhr er fort.
    »Der Vierte.«
    Haydock fuhr auf. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten. »Das wissen Sie also?«, murmelte er.
    Eine Pause entstand.
    »Wollen Sie mir bitte sagen«, brach Tuppence das Schweigen, »was ich zu tun habe?«
    »Nur Geduld, meine Liebe«, antwortete Haydock. Nach kurzem Überlegen fragte er: »Zweifellos haben Sie vom Sans Souci gehört?«
    »Nein«, entgegnete Tuppence.
    »Nein?«
    »Nein«, sagte Tuppence fest.
    Der Commander lächelte seltsam.
    »Sie haben also nichts vom Sans Souci gehört? Das überrascht mich allerdings sehr. Ich dachte nämlich, Sie hätten den letzten Monat dort gelebt…«
    Totenstille.
    »Was sagen Sie dazu? Nun, Mrs Blenkensop?«, fragte Haydock.
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Dr. Binion. Ich landete heute Früh hier mit dem Fallschirm.«
    Wieder lächelte Haydock – ein höchst unangenehmes Lächeln.
    »Ein paar Meter Segeltuch in einem Gebüsch können allerhand vortäuschen«, sagte er. »Ich bin auch nicht Dr. Binion, Verehrteste. Dr. Binion ist nur mein Zahnarzt – aber zuweilen ist er so freundlich, mir seine Arztwohnung für einige Zeit zur Verfügung zu stellen.«
    »Ach?«
    »Jawohl, Mrs Blenkensop! Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich Sie mit Ihrem richtigen Namen Beresford anrede?«
    Wieder tiefe Stille. Tuppence atmete tief.
    Haydock nickte ihr zu.
    »Sie sehen, das Spiel ist verloren. Sie sind mir ganz brav ins Garn gegangen.«
    Ein scharfes Knacken, ein stählernes Aufblitzen in seiner Hand.
    »Und nun rate ich Ihnen«, sagte er mit schneidender Stimme, »keinen Lärm zu schlagen und die Nachbarschaft nicht aufmerksam zu machen! Bevor Sie den Mund öffnen würden, wären Sie schon tot. Aber selbst wenn man Sie schreien hörte, würde sich niemand darum kümmern. Beim Zahnarzt hört man wohl dann und wann einen Aufschrei.«
    »Sie haben, wie es scheint, alles gründlich überlegt«, sagte Tuppence sehr ruhig. »Aber haben Sie auch bedacht, dass meine Freunde wissen, wo ich bin?«
    »Aha, der treu ergebene braunäugige Knabe? Der junge Tony Marsdon, ja? Tut mir leid, Mrs Beresford,
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