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Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Titel: Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Autoren: Tom Hillenbrand
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also auf keinen Fall infrage, nicht jetzt, nicht nach dieser Nacht. Plötzlich fiel Kieffer ein, wo man um diese Zeit ein erstklassiges Frühstück bekam. Und er wusste auch, mit wem er sich dort zu dieser absurd frühen Stunde verabreden konnte. Der Koch nahm sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer, die er immer noch auswendig kannte.
    Nach dem zweiten Klingeln bellte eine raue Stimme: »Hashimoto Kaneda. Moshi moshi!« Im Hintergrund hörte Kieffer einen ohrenbetäubenden Krach.
    »Hier ist Xavier. Xavier Kieffer. Erinnerst du dich noch an mich, Toro?«
    »Xavier-kun! Natürlich Mann, das ist eine Überraschung. Bist du in Paris?« Der zweite Satz ging beinahe in lautem Scheppern unter.
    »Ja«, sagte Kieffer, »und du bist auf dem Rungis, das hört man.«

    »Hai!«
    »Hast du Zeit für ein kleines Frühstück, Toro?«
    »Ja. Kannst du um sechs im ›La Marée‹ sein? Du weißt schon, das Fischrestaurant hier am Großmarkt.«
    Spiegeleier mit Speck wären Kieffer um diese Uhrzeit deutlich lieber gewesen als Austern – egal, wie frisch diese sein mochten. Doch er beschloss, jetzt nicht schwierig zu werden. »Ich fahre gleich los. Bis später, Toro.«
    Der Rungis befand sich im Süden, ein gutes Stück außerhalb des Pariser Innenstadtrings. Früher, da hatte der Großmarkt mitten in der Stadt gelegen, in Les Halles, unweit der Börse. Den »Bauch von Paris« hatte Émile Zola den riesigen Markt genannt, weil man dort alles kaufen konnte, was auch nur im Entferntesten essbar war. Irgendwann waren Les Halles jedoch aus allen Nähten geplatzt, und so hatte man den Markt in den Sechzigern verlegt, auf einen Acker vor der Stadt. Dort, wo sich früher die schläfrigen Dörfer Rungis und Chevilly-Larue befunden hatten, erstreckte sich nun über eine Fläche von mehr als 230 Hektar der Marché international de Rungis, der größte Lebensmittelgroßmarkt des Planeten. Was früher einmal der Bauch von Paris gewesen sein mochte, war jetzt eher der Wanst der Welt. Zahllose Hallen gab es hier, für Fleisch, für Fisch, für Innereien, dazu alleine neun Gebäude für Gemüse. Dazu kamen Restaurants, Filialen aller wichtigen Banken, eine Polizeistation und sogar eine Bibliothek, in der man sich über die Feinheiten der angebotenen Nahrungsmittel informieren konnte. Der Rungis besaß auch einen eigenen Bahnhof, in den täglich Kühlzüge einfuhren, beladen mit frischen Austern, Hummern, Rinderhälften oderHasenfilets. Noch weitaus größere Essensberge kamen per Lkw und über den neben dem Großmarktareal gelegenen Flughafen Orly. Wo auch immer auf der Erde ein Nahrungsmittel geerntet, gefangen oder geschlachtet wurde – 24 bis 48 Stunden später landete zumindest ein Teil davon in den Hallen des Rungis, um von dort seinen Weg in die Küchen von Restaurants in Frankreich, Deutschland oder Luxemburg zu finden.
    Während Paris noch döste, herrschte auf dem Rungis bereits Hochbetrieb. Wer etwas mit Gastronomie oder Lebensmittelhandel, mit den métiers de la bouche zu tun hatte, der kam frühmorgens hierher, um sich frische Ware zu besorgen. Kieffer ließ sich von seinem Taxifahrer vor dem Pavillon de la Marée absetzen. Ihm fiel auf, dass man die Fischhalle deutlich vergrößert hatte. Dann lief er über den Parkplatz, vorbei an unrasierten Männern, die auf Sackkarren und mit kleinen Gabelstaplern Kisten voller geeister Meerestiere zu ihren Lastwagen brachten. Zwei Chinesen bugsierten einen ganzen Hai an ihm vorbei, den sie mit Schnüren notdürftig auf einem Fahrrad befestigt hatten. Kieffer wich den Männern aus und hielt auf die blaue Leuchtschrift des Restaurants »A la Marée« zu. Angeblich bekam man nirgendwo frischere Meerestiere serviert als hier, direkt neben der Fischhalle. Früher hatte man im »Marée« mit etwas Glück Staatspräsident François Mitterrand getroffen, der zu früher Stunde gerne zwei Dutzend Frühstücksaustern verzehrte.
    Als Kieffer das Restaurant betrat, sah er Kaneda Hashimoto sofort. Er stand bereits mit einem Espresso an der Bar und plauderte mit einem der Köche. Alle seine Freunde nannten den Japaner Toro, was als ironischeAnspielung auf sein Äußeres gemeint war. Toro hieß im Sushijargon das besonders fette Bauchfleisch des Thunfischs. Und wenn es etwas gab, das Hashimoto garantiert nicht besaß, dann war es Fettgewebe. Er war hochgeschossen, an die 1,80 Meter, also ziemlich groß für einen Japaner. Dabei wog er bestenfalls sechzig Kilo.
    Hashimoto sah genauso aus wie früher,
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