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Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Titel: Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Autoren: Tom Hillenbrand
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5
    Wie immer, wenn das Wetter es zuließ, lief Kieffer auch an diesem Montagmorgen den Weg von seiner Wohnung bis zum »Deux Eglises« zu Fuß. Autofahren war in der Luxemburger Unterstadt eine mühselige Angelegenheit, weil man ständig die großen Kalkfelsen umrunden musste, auf und zwischen denen die Stadt erbaut worden war. Per pedes brauchte er bis zu seinem kleinen Lokal kaum mehr als zwanzig Minuten. Außerdem half ihm der kurze Spaziergang stets, den Kopf freizubekommen.
    Kieffers Schleichweg lief an der Abbaye de Munster vorbei und führte dann über einen schmalen Pfad am Fluss entlang, bis nach Clausen. Schon immer hatte er während dieses kleinen Spaziergangs gerne auf die gemächlich vorbeifließende Alzette geschaut, seit einigen Monaten blickte er jedoch besonders konzentriert auf den Fluss zu seiner Rechten. Denn so vermied er es, der neuen Gebäude ansichtig zu werden, die unlängst linker Hand seines Schleichwegs aus dem Boden gestampft worden waren.
    Irgendein Stadtentwickler hatte hier mehrere Fertigbauten in die ville basse gesetzt, große rötliche Quader mit verspiegelten Scheiben. Diese Bürowürfel sahen aus, als ob sie ein Riese achtlos dort hingeworfen hätte. Die Glaskästen passten in etwa so gut in die Luxemburger Unterstadt wie Big Macs in ein Menü von Paul Bocuse. In den Gebäuden saßen, das wusste er aus der Zeitung, mehrere amerikanische Hightechfirmen und ein großer Anbieter von Internettelefonie. Kieffer war nicht ganz klar, warum jemand mithilfe des Internets telefonieren wollte; hatte heutzutage nicht jeder ein Handy? Aber er verstand, warum sich diese Firmen hier angesiedelt hatten. Ihre jungen hippen Angestellten wollten nicht auf dem seelenlosen Kirchberg außerhalb der Stadt sitzen. Dort hockten in zahllosen Hochhäusern Beamte verschiedener EU – Institutionen sowie die Mitarbeiter Hunderter Banken und Investmentfonds – Schlips- und Bedenkenträger also, Erbsenzähler und Paragrafenreiter.
    Die Chefs der Internetfirmen erachteten dieses Umfeld offenbar als zu unkreativ für ihre Leute. Sie hatten sich stattdessen für das kleinteilige Clausen entschieden, mit seinem bröckeligen Charme, den Kleinkünstlern und der schick renovierten alten Mousel-Brauerei. Kieffer konnte das durchaus nachvollziehen, er lebte und arbeitete schließlich auch gerne hier. Doch neuerdings beschlich ihn die Angst, dass ihm die Internetfuzzis sein Viertel wegnehmen, es mit amerikanischen Coffeeshops zupflastern und in eine Miniatur des Marais oder Prenzlauer Bergs verwandeln würden. Typen wie Cesar Lee Willinon, die mit ihren Waschkörben voller Dollars kamen, sich über das zauberhafte Lokalkolorit und die kreative Atmosphäre freuten – und dann umgehend die Immobilienpreise und alles Übrige ruinierten.

    Kieffer war froh, als er die Webwürfel hinter sich gelassen hatte und die Rives de Clausen passierte, die umgebaute Brauerei. Er lief die Rue Jules Wilhelm hinauf, an deren steilem Hang jenes alte französische Wachhäuschen klebte, das sein »Deux Eglises« beherbergte. Auf der Terrasse des Restaurants saßen einige Ausflügler und genossen die Nachmittagssonne. Er stieg die verwitterte, von Flechten überwucherte Steintreppe empor, nickte zwei einheimischen Stammgästen zu und ließ sich von seinem Kellner Jacques eine Schürze reichen. Er war schon im Begriff, die Tür zum Schankraum zu öffnen, als ihm einer der Gäste etwas auf Englisch zurief. »Sorry, kurze Frage.«
    Kieffer drehte sich um. An einem Außentisch rechts von ihm saßen drei junge Männer. Wegen ihrer bunten T-Shirts und der Baseballkappen hatte er sie zunächst für Touristen gehalten, doch nun sah er, dass dies kaum zutreffen konnte. Auf ihrem Tisch standen mehrere Laptops, daneben lag mindestens ein halbes Dutzend weiterer elektronischer Geräte. Zwei der Männer tippten eifrig. Jener, der Kieffer angesprochen hatte, musste Mitte dreißig sein. Er trug einen Magnum-Schnauzbart und blickte ihn durch eine wuchtige schwarze Hornbrille an. Auf seinem T-Shirt stand: »I’m huge on Twitter.«
    Nun wurde dem Luxemburger alles klar. Einer der roten Würfel hatte diese Typen ausgespien, und nun waren sie dabei, sein Restaurant in eine verdammte Weltraumstation zu verwandeln. Die Hornbrille lächelte Kieffer freundlich zu und sagte: »Sind Sie hier der Chef?«
    »Bin ich.«
    »Ich wollte fragen«, sagte er und zeigte auf die Laptops hinter sich, »ob wir uns vielleicht kurz bei Ihneneinklinken können.«
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