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Rosenrot

Titel: Rosenrot
Autoren: Arne Dahl
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Weile so, als überlegte er, und ließ sie dann herein.
    Das erste, was ihnen begegnete, war ein Spiegel. Er begegnete ihnen von unten. Norlander war froh, dass er overdressed war. Die dicken Winterstiefel hielten den Scherben stand. Und da Arto Söderstedt den Boden nicht berührte, sondern darüber schwebte, kam auch er nicht zu Schaden.
    Der anständig gekleidete Kollege sah ein wenig enttäuscht aus. Ein bisschen Leiden hätte ihnen wohl nicht geschadet. Den Eindringlingen.
    »Bist du hier ... zur Bewachung?« fragte Norlander.
    »Ich schließe unsere Untersuchung ab«, sagte der Mann.
    »Wie heißt du?«
    »Äke Danielsson.«
    »Du schließt also eure Untersuchung ab, Äke? Und was bedeutet das?«
    »Hör auf«, sagte Äke Danielsson.
    Während dieser stimulierende Wortwechsel vor sich ging, nahm Arto Söderstedt die Gelegenheit wahr, sich einen Eindruck von der Wohnung zu verschaffen, in der fünf afrikanische Flüchtlinge sich vor dem Gesetz versteckt gehalten hatten. Aus dem mikroskopisch kleinen Flur kam man direkt in die Küche. Es war eine Zweizimmerwohnung, spartanisch möbliert, der Fußboden übersät mit den Überresten der Zerstörung. Türsplitter, Spiegelscherben – und ein alter Wecker. Er hob ihn vom Küchenfußboden auf und betrachtete ihn. Er zeigte Viertel nach vier. Der Todesaugenblick. Oder fast der Todesaugenblick.
    »Rührt nichts an«, sagte Äke Danielsson, allerdings jetzt fast ein wenig bittend. Seine Forschheit war wie weggeblasen.
    »Warum nicht?« sagte Söderstedt, ohne den Blick von dem kaputten Wecker zu wenden. »Habt ihr vergessen, eine Tatortuntersuchung zu machen?«
    Aber ihm war nicht danach, zu sticheln. Er legte den Wecker dahin zurück, wohin er offenbar gehörte. Auf den Fußboden. Dann ging er in das angrenzende Zimmer. Es war ein Schlafzimmer. Zwei Betten und drei zusammengerollte Matratzen. Kahle Wände. Durchgangswohnung. Kein Grund, sich häuslich einzurichten. Nichts, was einem leid tat, wenn man sie in aller Eile verlassen musste. Nichts, woraus man vertrieben werden konnte.
    Arto Söderstedt kannte das Gefühl.
    Wenn auch auf einer wesentlich privilegierteren Ebene.
    Auch er war vertrieben worden. Aus dem Paradies.
    Doch das war eine andere Geschichte.
    Vor dem nächstliegenden Fenster führte eine Brandleiter aufs Dach. Ein blau-weißes Band versperrte den Zutritt. Söderstedt wandte sich zu Danielsson um und machte eine kleine Geste zum Fenster hin. Danielsson antwortete mit einer hilflosen Grimasse, und Söderstedt riss das Fenster auf.
    »Das stand also offen?« fragte er.
    Danielsson trat ans Fenster und nickte. »Vermutlich stand es ständig offen«, sagte er. »Ein vorbereiteter Fluchtweg.«
    »Und wie würdest du bis hierhin den Ablauf des Geschehens rekonstruieren?«
    Danielsson tippte sich mit den Fingerspitzen an die Stirn. Es sah aus, als versuchte er, die Töne der Rekonstruktion auf der Tastatur des Großhirns zu improvisieren. »Fünf Flüchtlinge am Küchentisch. Kaffeebecher. Sie tranken Kaffee, als vorschriftswidrig die Tür eingeschlagen wurde. Der Spiegel fiel von der Wand, der Wecker vom Tisch. Chaos. Der Flüchtling, der dem Fenster am nächsten ist, fasst den Fluchtweg ins Auge.«
    »Winston Modisane«, sagte Söderstedt.
    Danielsson nickte und fuhr fort: »Er stürzt zum Fenster und springt raus. Der Kollege folgt ihm, ohne zu wissen, dass Modisane bewaffnet ist.«
    »Dag Lundmark«, nickte Söderstedt und zeigte zum Fenster. »Wollen wir auch mal ihren Spuren folgen?«
    Ake Danielsson vollführte eine unwillige Geste zum Fenster hin. Söderstedt glitt hinaus. Danielsson ächzte hinterher. Norlander ebenso.
    Die Brandleiter, die aufs Dach führte, war alles andere als solide und bog sich unter der gesammelten polizeilichen Last.
    Sie stiegen über die nächste Sektion blau-weißen Plastikbands und betraten das Dach. Hier oben war nichts außer einem kleinen Aufbau, der wie ein kleines Haus aus dem großen herauswuchs. Söderstedt ging hin. Er fasste an die Türklinke, und die Tür öffnete sich. Er schloss sie wieder.
    Dann nickte er und ging eine Weile auf dem Dach umher. »Okay«, sagte er. »Warum haut Winston Modisane ab? Natürlich um weiterzufliehen, in die Freiheit. Wenn man sich vorstellt, dass das Fenster da unten immer offengestanden hat, als Fluchtweg, wie du gesagt hast, Ake – warum, zum Teufel, bleibt er dann hier auf dem Dach und schießt auf den Polizisten, der ihn verfolgt? Warum läuft er nicht einfach weiter? Hierhin?
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