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Rosenrot

Titel: Rosenrot
Autoren: Arne Dahl
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vollführte eine galante Geste hin zur langen und wenig einladenden Treppe.
    Norlander war overdressed. Ihm gefiel das Wort, nicht aber die Sache. Er meckerte vor sich hin, während sie Stockwerk um Stockwerk nach unten kreisten. Ich bin overdressed. Ich bin overdressed.
    Was ganz einfach bedeutete, dass er eine viel zu dicke Jacke trug, genauer gesagt eine schwarze Steppjacke vom denkbar plumpesten Modell. Wie üblich war er völlig unfähig gewesen, das Wetter richtig einzuschätzen. Er hatte am Morgen einen Blick aus dem Fenster und dann aufs Thermometer geworfen und – das Falsche gewählt. Dünne Sachen bei Kälte, warme Sachen bei Wärme. Das war unfehlbar.
    Die Jacke war als Arbeitskleidung gänzlich ungeeignet, weil es eine halbe Minute dauern würde, aus allen krausen Falten die Pistole herauszufummeln. Zum Glück hatte er es nie ausprobieren müssen. Und morgen würde die Steppjacke im Flur bleiben. Egal, wie das Wetter war.
    Und heute hatte er nicht die Absicht, die Waffe zu ziehen.
    Sie gelangten nach unten und traten auf die Straße. Söderstedt blieb eine Weile stehen und richtete den Blick zum klarblauen Himmel. Norlander hatte nichts dagegen. Er legte die Hände an die Knie, beugte sich vor und atmete aus.
    Und das ihnen, die gar nicht hier hätten sein sollen.
    Die Morgensitzung in der Kampfleitzentrale war eingestellt worden. Statt dessen hatte Kriminalkommissar Jan-Olov Hultin sie in sein Büro gerufen und sie in inoffiziellem Ton gebeten, sich in Flemingsberg eine Wohnung anzusehen. »Ihr sollt nur mal die Lage peilen«, hatte er gesagt.
    »Nur mal die Lage peilen?« hatte Norlander in extrem vielsagendem Ton erwidert.
    Was mit großer Akkuratesse ignoriert wurde. »Ja«, antwortete Hultin neutral.
    Das also hatte es damit auf sich.
    Zum Glück funktionierte der Aufzug im Nachbarhaus. Ansonsten unterschieden sich die Häuser in keinem einzigen Detail. Sie waren ganz einfach identisch.
    Es war zu vermuten, dachte Norlander, dass so die Hölle aussah. Alles identisch. Nichts hob sich heraus. Man bewegte sich von Ort zu Ort, von Höllenfeuer zu Höllenfeuer, und alles war genau wie alles andere.
    Im neunten Stock hielt der Aufzug. Es war nicht schwer, die Wohnung zu finden. Die letzte Tür im Flur war ziemlich demoliert und wurde außerdem von einem gelb-schwarzen Aufkleber und einem kleinen blau-weißen Plastikband geziert.
    Leider war die Tür offen.
    Im Wohnungsinnern waren Bewegungen zu erkennen.
    Norlander seufzte.
    Er dachte an seine Schicht um Schicht in Daunenpolster eingebettete Dienstwaffe. Er dachte an das gerade erst geleistete Versprechen – ›heute hatte er nicht die Absicht, die Waffe zu ziehen‹. Er dachte an das alte Versprechen, das er seiner Lebensgefährtin Astrid und seinen Töchtern Charlotte und Sandra gegeben hatte: Nein, ich werde nicht sterben. Dann begann er, am Reißverschluss zu fummeln.
    Die Mühe hätte er sich sparen können. Der Mann, der ihn durch den Türspalt anschaute, war anständig gekleidet und hielt ihnen einen Polizeiausweis entgegen. »Verschwinden Sie«, sagte er forsch. »Polizei.«
    »Hier auch«, sagte Arto Söderstedt, hielt seinen Polizeiausweis dagegen und fuhr fort: »Arto Söderstedt und Viggo Norlander, ›Spezialeinheit beim Reichskriminalamt für Gewaltverbrechen von internationalem Charaktere«
    Der Mann betrachtete sie misstrauisch. Dann sagte er: »Die A-Gruppe?«
    »The one and only.«
    »Das hier ist unser Fall.«
    »Ich nehme an, ihr seid von der Abteilung für Internes?«
    »Dann begreifst du auch, warum ihr wieder gehen müsst.«
    »Nein«, sagte Söderstedt mit einem engelgleichen Lächeln.
    Zum Teufel auch, dachte Viggo Norlander und betrachtete seinen vollkommen weißen Kollegen, der von hereinfallendem Sonnenlicht umhüllt war. Er sieht tatsächlich aus wie ein Engel.
    »Euer Chef, Kommissar Niklas Grundström, hat uns um Hilfe gebeten«, verdeutlichte Söderstedt.
    Der Mann wurde nachdenklich. Er war gute fünfzig und gehörte zweifellos zur alten Garde interner Ermittler. »Das zu glauben fällt mir sehr schwer«, sagte er, aber es war ihm anzusehen, dass er es glaubte, es war ihm anzusehen, dass er seinen Chef verfluchte, und es war ihm anzusehen, dass es nicht das erste Mal war.
    Das fand auf jeden Fall Viggo Norlander und kam sich scharfsinnig vor.
    »Du kennst doch sicher eure neue Politik?« sagte Söderstedt und streute mit einem Wedeln seiner Engelsflügel Salz in die Wunden.
    Der Mann sah maßlos vergrätzt aus, tat eine
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