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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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stand Helene im Fahrstuhl und zählte die Zehntelsekunden, während Olafs Augen gelassen auf ihrem Gesicht ruhten.
    Das Betreten des Zimmers stellte sich als entsetzlichster Moment des Abends heraus. In jenem Augenblick dachte Helene an all die Mädchen, die halb oder ganz professionell Hotelzimmer betraten – auch Marie kam ihr in den Sinn. Hätte Olaf nicht sofort und sagenhaft beiläufig auf die geschmackvoll weiß-braun gestreiften, bilderlosen Wände hingewiesen, hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht.
    Sie tat es nicht und war schon ein paar Minuten später, als sich der Reißverschluss ihres Kleides wie von Zauberhand öffnete, dankbar für ihre Kühnheit. Olaf war ein Naturtalent, ein Künstler, der seine eigenen Wünsche dem Gesamtgefüge so unterzuordnen verstand, als gebe es sie nicht. Er brachte es fertig, dass Helene sich wie eine Sirene fühlte, die zu nichts anderem auf der Welt war, als die fähigsten Männer des Reiches zu betören. Olaf kannte alle Regeln und servierte sie Helene auf einem goldenen Tablett. Die schönste dieser Regeln war: Es gibt keine Regeln. Gefolgt von derjenigen, dass man für den Austausch von Galanterien und Liebesbekundungen besser vollständig angezogen war. In die jetzige Situation gehörten nichts als klare Worte. Worte, für die Helene normalerweise Ohrfeigen verteilt hätte.
    Gerade wollte sie sich irgendwie auflösen und auf die Existenz von Gott schwören, als in der Unterarmtasche ihrer verstorbenen Mutter ihr Handy klingelte. Am Klingelton, den Helene aus weiter Ferne wahrnahm, erkannte sie, dass der Anrufer ein Patient sein musste. Einige Sekunden lang kämpften in ihrem förmlich abgeschalteten Hirn die Jas und Neins gegeneinander, bis Olaf, dem dieser Kampf nicht entging, schnaufend einen langen Arm machte und ihr die Tasche reichte.
    »Gut, Gauguin-Bar, ich bin in zwanzig Minuten bei Ihnen«, war das Vorletzte, was Olaf in jener Nacht von Helene hörte. Das Letzte, Helene stand derangiert und debilen Blickes inder offenen Zimmertür, klang da schon besser: »Wenn das Angebot noch steht, hihi, dann, dann kommen wir mit an den Bodensee.«
    Es stand.

26
    Der mit Leere angefüllten Marie tut es nicht leid,
    Helenes beste Nacht seit Jahren unterbrochen zu haben,
    Martin kommt zurück, und Pasi hat eine Mutter
    Obwohl sie heute Nacht weniger gut besucht war als normalerweise, war die Gauguin-Bar verqualmt. Ein paar übrig gebliebene russische Mädchen, eigentlich hübsch, aber bis zur Unkenntlichkeit verschminkt und verkleidet, hockten da mit Anhang, der vermuten ließ, dass er erst in den letzten Stunden angehängt worden war. Dann einige, die wahrscheinlich irgendwas mit bildenden Künsten zu tun hatten – jedenfalls schnappte Marie das Wort »Neorauch« auf –, zwei ältere Pärchen – was machten die um diese Stunde hier? – und diverse ganz Einsame, die allein vor ihren Gläsern saßen und so taten, als sei es ihnen nur recht, dass der Einzige, der sie ab und zu ansprach, der Barkeeper war. Das, dachte Marie, müssen wohl die sein, denen man als Kinder Schweinekoteletts um die Ohren gehängt hat, damit wenigstens die Hunde mit ihnen spielten. Wer hier jetzt allein war, der blieb es für den Rest seines Lebens.
    Marie hatte die Kinder ins Bett gebracht, der noch nichts ahnenden Pasi eine halbe Stunde lang den Kopf gestreichelt und Brütti sogar mehrere Schlaflieder gesungen. Morgen früh, wenn Gott will … Ihre Mutter war zeitig zu Bett gegangen, nachdem sie mal pietätvoll, mal traurig mit den wichtigsten Verwandten und Freunden telefoniert hatte. Nachts, als alles ruhig war, hatte Marie sich eine distinguierte schwarze Hose und einen schwarzen Sommerrolli angezogen, dazudie Perlen, die Adam ihr gekauft hatte, angelegt und dann die Wohnung verlassen.
    Sie bestellte sich einen Kir und eine Packung Zigaretten. Warum, überlegte sie, schliefen Kinder gut ein, wenn man ihnen vorsang, dass das schwarze Schaf komme und sie beiße, wenn sie nicht schlafen wollten, und ob sie Helene wohl geweckt habe und weshalb sie zwanzig Minuten brauchte, um zur Gauguin-Bar zu kommen.
    Vorhin hatte Marie gedacht, sie müsse mit jemand Neutralem reden, der Adam nicht kannte, Lilie ebenfalls nicht und auch sie, Marie, praktisch nicht. Jetzt, da sie ihren ersten Kir bereits ausgetrunken hatte, regten sich Zweifel, ob ausgerechnet eine Psychotherapeutin neutral sein konnte. Es war doch ihr Job zu bewerkstelligen, dass ihre Kundschaft sich besser fühlte, da lag es ja auf der Hand,
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