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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll
Autoren: Joachim Fernau
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sind die alten — das Staunen über Schliemann ist also schnell überwunden.
    Man hat sich wieder gefangen.
    Ich zeige Ihnen nun einmal, wie herzerfrischend komisch die Lage ist.
    »Die Zerstörung Trojas«, sagt der alte berühmte Historiker Professor Beloch, »ist zwar eine historische Tatsache, die Sagen aber, die den Kern der Ilias bilden, haben mit der Stadt nicht das geringste zu tun. Zugrunde liegt ein uralter Mythos von dem Kampfe der Geister des Lichts mit den Wolkengeistern; damit verbunden ist der Mythos vom Raube der Mondgöttin Helena. Es ist ganz müßig, nach dem Verfasser der Epen zu fragen; unzählige Dichter haben an der Ilias und Odyssee mitgearbeitet.«
    »Homer«, sagt der nicht minder berühmte Historiker Professor Berve, »Homer ist aus dem Kreis der vielen Sänger der Zeit hervorgegangen. Er war es, der die Ilias schuf, indem er mit souveräner Kraft den gewaltigen Sagenstoff zu einem einheitlichen Werk gestaltete, ihn menschlich wundersam vertiefte und so dem Lebensgefühl der ionischen Herren strahlenden Ausdruck verlieh. Ihm folgte, von gleichem Geiste und kaum geringerer Dichterkraft erfüllt, wenig später der Schöpfer der Odyssee, in der das Altertum ein Spätwerk Homers erblickte. Diese zwei Großen...«
    »Wir glauben wieder an den Dichter«, sagt der gleichfalls berühmte Altphilologe Professor Schadewaldt, »die Analyse selbst hat diesen Glauben mehr und mehr erhärtet. Homer hat sich der Homer-Wissenschaft am Ende doch als Person erwiesen. Er war als Dichter ein genialer Mensch, aber die Größe seines Werkes erhob ihn geradezu zu geschichtlicher Macht. Homer stiftete den Griechen die geistige Welt. Was er diditete, war nichts Ausgedachtes. Aus alten Stoffen schuf er den Bau eines Groß-Epos — der Ilias. Und daß die Odyssee, das jüngere Epos, von letzter Hand eine geschlossene Einheit ist, kann nicht mehr bezweifelt werden.«
    Die Lage ist, wie Sie nicht bestreiten können, einfach: Was Sie auch glauben, Sie haben auf jeden Fall Ihren Heiligen. Ich würde Ihnen jetzt gerne meine eigene Meinung sagen, wenn Sie es noch aushalten.
    Ich frage: Ist es wohl glaubhaft, daß ein Volk, das jede Quelle mit Nymphen und jeden Baum und Strauch mit Satyrn beseelt und alle Kunstfertigkeit und alle Gaben des Lebens auf die Götter als Erfinder zurückführt — ist es glaubhaft, daß ein solches Volk für seine zwei meistbewunderten und heiligsten Werke, für die Ilias und die Odyssee, einen sterblichen Dichter erfindet, wenn diese Werke anonym waren? Mir scheint es unzweifelhaft, daß die alten Griechen die beiden Dichtungen ganz bestimmt einem Gott oder Heroen zugeschrieben haben würden, wenn sie nicht gewußt hätten, daß der Dichter gelebt hatte und Homer hieß. Die Zeit, in der er lebte und schrieb, war genau die Zeit, in der alle Welt zu schreiben begann. Es ist kein Zufall, daß damals auch in Palästina mit der Niederschrift der ersten Gesänge des Alten Testaments begonnen wurde. Die Ilias ist eine Verdichtung von mündlich (und sicher sehr verschieden) überlieferten Heldenepen aus der mykenischen Zeit. Historische Ereignisse sind da mit mythologischen Sagen vermischt. Viele Dinge, viele Redensarten und Formulierungen hat Homer bereits nicht mehr verstanden; aber er hat sie getreulich in seiner Ilias verwendet.
    Odyssee-Überlieferungen jedoch hat es nicht gegeben! Ich neige zu der Ansicht, daß die Odyssee derjenige Teil ist, der ganz allein Homers Werk und vollständig seine Erfindung ist.
    In der Ilias tritt der Dichter vor der Überlieferung zurück, in der Odyssee ist er ganz er selbst.
    In der Ilias versucht er, die mykenische Welt zu rekonstruieren, und nur unfreiwillig unterlaufen ihm fortgesetzt Anachronismen, Modernisierungen. In der Odyssee steckt allein seine Zeit...
    In der Ilias weint Achill ohnmächtig und zornig — typisch archaisch; in der Odyssee weint Homers Zeit: gerührt, weich, sehnsüchtig...
    Achill ist Schamgefühl unbekannt; Odysseus schämt sich seiner Nacktheit bei den Phäaken...
    Klytämnestra, Agamemnons Frau, ergibt sich den Freiern und läßt den heimkehrenden Mann ermorden; Penelope, Homers Erfindung, wartet auf Odysseus zwanzig Jahre...
    Die Ilias, als Mosaik, ist lückenhaft, sprunghaft, nicht abgeschlossen als Geschichte; in der Odyssee — und das ist doch wohl ein sehr beachtlicher Punkt — holt Homer das alles nach, räumt auf (was Dichter-Generationen oder ein Fremder sicher nicht getan hätten) und schließt mit eigener Erfindung die
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