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Romanzo criminale

Romanzo criminale

Titel: Romanzo criminale
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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offen, Bulle.
    Sie suchte seinen Mund. Er küsste sie ohne Überzeugung. Sie steckte ihm einen Schlüsselbund zu. Wie damals, bei Ranocchias Begräbnis.
    – Aber ruf mich eine halbe Stunde davor an, fügte sie pragmatisch hinzu.
    Während er ihr nachsah, stellte er fest, dass er nicht einmal mehr ihren Geruch wiedererkannte. Sie unterschied sich nicht von den Dutzenden Frauen, die mittlerweile zu seiner Kollektion gehörten. Gesammelt mit derselben Hingabe, mit der Vecchio seine Automaten gesammelt hatte. Aber Vecchio war seinen Lieben treu geblieben, während er die seinen nach einer Nacht entsorgte. Nur eine Nacht. Das war die Regel. Er warf die Schlüssel in eine Mülltonne. Später, als er sich für das Abendessen beim Innenminister umzog, dachte er an die alten Zeiten und fragte sich, warum er sich für diese Frau beinahe ruiniert hätte. Schnee von gestern. Vor zehn Monaten war Vecchio infolge des dritten Infarkts gestorben. Einige Zeit später hatte Scialoja ein Paket ohne Absender bekommen. Es enthielt Vecchios Tagebücher. Auf dem beigelegten Kärtchen stand: „Viel Vergnügen beim Spielen.“ Ja, viel Vergnügen beim Spielen. Vecchio hatte Recht. Das Spiel war viel aufregender als jedes andere Abenteuer. Er hatte nur ein paar Anspielungen machen, einen zerstreuten Satz fallen lassen, im richtigen Augenblick zwinkern müssen ... und man hatte verstanden. Er besaß Vecchios Tagebücher! Er war der Hüter der geheimen Geschichte der Republik! Er konnte Minister stürzen, unverdächtige Geschäftsmänner auf dem Rost braten, unerhörte Skandale auslösen. Er konnte beinahe alles. Er hatte die Macht. Er war die Macht. Panik hatte um sich gegriffen. Scialoja hatte beschwichtigt. Gewiss, man würde aufräumen, aber mit Vernunft. Gewisse Fälle konnten einfach nicht gelöst werden. Andere Fälle ließen nur eine Teilwahrheit zu. Die Kontinuität der Absichten stand außer Frage, die Loyalität zu den Institutionen genauso wenig. Man hatte ihm geglaubt oder zumindest so getan, als würde man ihm glauben. Sie hatten keine Alternative. Er hatte die Macht. Er war die Macht.
    Als er die Krawatte band, fragte er sich, ob er das Angebot des Ministers – Geheimdienstchef oder Polizeichef? – annehmen oder mit der Entscheidung bis zu den nächsten Wahlen warten sollte, von denen die Opposition hoffte, sie würde sie mit links gewinnen. Die Richter aus Mailand wurden aktiv. Er tat so, als wären sie ihm egal. Ein Erdbeben auf höchster Ebene kündigte sich an. Aber, wie Vecchio gesagt hatte, es würde Veränderungen geben, und dann würde wieder alles beim Alten sein. Er würde Vecchios Linie beibehalten. Im Schatten bleiben. In einem Büro am Rand, im Schutz eines neutralen Etikettes, mit einer Truppe von Haudegen, die bereit waren, beim kleinsten Wink loszupreschen.
    Ach, das Spiel, das Spiel! Sie alle in der Hand haben, als anonymer, gleichgültiger Schiedsrichter ihrer Schicksale!
    Aber als er in den Lift stieg, als er zum allerletzten Mal den Krawattenknoten prüfte, spürte er einen kleinen, schmerzhaften Stich in der Brust. Einen Nadelstich, nichts mehr. Aus welchen dunklen Ecken der Vergangenheit drang im Augenblick des Triumphes dieses unvergleichliche Gefühl der Niederlage hervor?

Abspann
    Freddo wurde nach Italien ausgeliefert und arbeitete mit der Justiz zusammen. In den folgenden Monaten legten auch Fierolocchio, Ricotta und Donatella umfassende Geständnisse ab.
    Bufalo wurde ein paar Monate später verhaftet. Eine Polizeistreife nahm ihn am Steuer eines mit Waffen vollbeladenen Autos fest. Es wurde nie geklärt, wozu sie hätten dienen sollen.
    Aufgrund der Kronzeugenaussagen konnten Bufalo, Botola, Nero, Secco, Carlo Buffoni und viele andere zu schweren Gefängnisstrafen verurteilt werden.
    Seccos Vermögen wurde konfisziert. Er schuf sich in kürzester Zeit ein neues Vermögen.
    Maestro, Zeta und Peloso wurden von allen Anklagen freigesprochen.
    Conte Ugolino starb an Aids.
    Anwalt Miglianico geht weiterhin seinem Beruf nach. Anwalt Vasta ist im Ruhestand.
    Sorcio lebt unter falschem Namen in einer anderen Stadt.
    Trentadenari wurde erschossen, als er eine Bar verließ.
    Pischello wurde nie festgenommen.
    Patrizia führt noch immer einen Fitnessklub und moderiert eine Fitness-Sendung für einen Zusammenschluss von lokalen TV-Sendern.
    Der Mord an Pidocchio wurde nie geklärt.
    Richter Borgia wurde an die Kammer für Zivilsachen an das Appellationsgericht versetzt.
    Dr. Nicola Scialoja leitet das Büro
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