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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition)
Autoren: Imre Kertész
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letztes Mal war er pünktlich und hat uns, wie mir schien, eine hübsche Summe auf den Tisch gezählt. Er hat meiner Stiefmutter die Hand geküsst, und auch für mich hatte er ein paar freundliche Worte. Er hat sich auch eingehend nach dem Befinden des «Herrn Direktors» erkundigt, wie gewohnt. Als er schon dabei war, sich zu verabschieden, ist ihm noch etwas in den Sinn gekommen. Er holte ein Päckchen aus seiner Aktentasche hervor. In seinem Gesicht war eine gewisse Verlegenheit. «Ich hoffe, gnädige Frau», sagte er, «es kann im Haushalt von Nutzen sein.» In dem Päckchen waren Fett, Zucker und noch andere Sachen dieser Art. Ich habe den Verdacht, dass er sie auf dem Schwarzmarkt besorgt hat, bestimmt deswegen, weil er die Verfügung gelesen hat, nach der jüdische Personen auf dem Gebiet der Lebensmittelversorgung von nun an mit kleineren Rationen auskommen müssen. Meine Stiefmutter hat sich zuerst ein wenig geziert, aber Herr Sütő bestand sehr darauf, und schließlich konnte sie ja an dieser Aufmerksamkeit nichts aussetzen. Als wir wieder unter uns waren, hat sie auch mich noch gefragt, ob sie meiner Meinung nach richtig daran getan habe, es anzunehmen. Ich fand, ja, denn sie konnte Herrn Sütő ja nicht dadurch verletzen, dass sie es nicht annahm. Schließlich hatte er es ja nur gut gemeint. Das war auch ihre Meinung, und sie sagte, sie glaube, auch mein Vater würde ihr Vorgehen billigen. In der Tat, das konnte ich mir auch nicht anders vorstellen. Und überhaupt, das weiß sie im Allgemeinen besser als ich.
    Ich gehe auch meine Mutter zweimal wöchentlich besuchen, an den ihr zustehenden Nachmittagen, wie gewohnt. Mit ihr habe ich schon mehr Probleme. So wie mein Vater es vorausgesagt hat, ist sie überhaupt nicht imstande, sich damit abzufinden, dass mein Platz an der Seite meiner Stiefmutter ist. Sie sagt, ich «gehöre» zu ihr, meiner leiblichen Mutter. Aber soviel ich weiß, hat das Gericht mich eben meinem Vater zugesprochen, und demzufolge hat sein Beschluss doch Gültigkeit. Trotzdem hat mich meine Mutter auch diesen Sonntag wieder darüber ausgefragt, wie ich selbst leben möchte – denn nach ihrer Meinung zählt einzig mein Wille – und ob ich sie liebe. Darauf habe ich ihr gesagt, aber natürlich! Doch meine Mutter hat erklärt, jemanden zu lieben bedeute, dass wir «an ihm hängen», und ich hinge, wie sie es sieht, an meiner Stiefmutter. Ich habe versucht, ihr beizubringen, dass sie das falsch sähe, denn schließlich hinge nicht ich an meiner Stiefmutter, sondern – wie sie ja wisse – habe mein Vater so über mich verfügt. Aber sie hat darauf geantwortet, dass es hier um mich gehe, um mein Leben, und darüber müsse ich selbst entscheiden, und außerdem werde Liebe «nicht durch Worte, sondern durch Taten bezeigt». Ich bin ziemlich bekümmert von ihr weggegangen: Ich kann natürlich nicht zulassen, dass sie wirklich noch denkt, ich liebte sie nicht – andererseits kann ich doch auch nicht ganz ernst nehmen, was sie über die Wichtigkeit meines Willens gesagt hat und darüber, dass ich in meiner eigenen Angelegenheit selbst entscheiden müsse. Schließlich ist das ja ihre Auseinandersetzung. Und es wäre mir peinlich, wenn ich da urteilen müsste. Und überhaupt, ich kann doch nicht meinen Vater bestehlen, und das gerade jetzt, wo der Arme im Arbeitslager ist. Aber ich bin doch mit einem unbehaglichen Gefühl in die Straßenbahn gestiegen, denn es ist ja klar, dass ich an meiner Mutter hänge, und es hat mich gekränkt, dass ich auch heute wieder nichts für sie tun konnte.
    Möglich, dass dieses ungute Gefühl der Grund war, warum ich es nicht so eilig hatte, mich von meiner Mutter zu verabschieden. Sie hat dann beharrt: Es werde spät – mit Rücksicht darauf, dass man sich mit dem gelben Stern nur bis abends acht Uhr auf der Straße blicken lassen darf. Ich habe ihr aber erklärt, dass ich es jetzt, im Besitz des Ausweises, nicht mehr mit jeder einzelnen Vorschrift so fürchterlich genau nehmen muss.
    Ich bin dann doch auf die allerhinterste Plattform im letzten Straßenbahnanhänger gestiegen, ordnungsgemäß nach der entsprechenden Vorschrift. Es ging auf acht Uhr, als ich nach Hause kam, und obwohl der Sommerabend noch hell war, wurden da und dort die Fenster schon mit den schwarzen und blauen Holztafeln verdunkelt. Auch meine Stiefmutter war schon ungeduldig, doch schon eher aus Gewohnheit, da ich ja schließlich den Ausweis habe. Den Abend haben wir wie gewohnt bei den
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