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Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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er erinnerte sich an das Gespräch, das er bei dem Kardinal belauscht hatte. Offenbar waren die Feigen nur ein Vorwand, um den Eintritt in den Palazzo Boccanera zu erzwingen, wo nur irgend ein Vertrauter, zweifellos der Abbé Paparelli, dem einstigen Kameraden sichere Auskunft zu geben vermochte. Aber welche Herrschaft über sich selbst besaß dieser Exaltirte bei den ungeordnetsten Bewegungen seiner Seele!
    Die Campagna zu beiden Seiten der Straße fuhr fort, ihre Grasflächen ins Unendliche zu entfalten; Prada, der ernst und nachdenklich geworden, schaute hinaus, ohne etwas zu sehen. Er schloß seine Betrachtungen ganz laut.
    »Abbé, Sie wissen, was man sagen wird, wenn er diesmal stirbt ... Dieses plötzliche Unwohlsein, diese Koliken, diese verheimlichten Nachrichten ... Die Sache kann recht schlecht ablaufen ... Ja, ja, Gift, wie bei den anderen.«
    Pierre fuhr betroffen auf. Der Papst vergiftet!
    »Wie, Gift! Schon wieder!« rief er.
    Entsetzt betrachtete er die beiden. Gift, wie zu den Zeiten der Borgias, wie in einem romantischen Drama, am Ende unseres neunzehnten Jahrhunderts! Dieses Phantasiegebilde erschien ihm gleichzeitig ungeheuerlich und lächerlich.
    Santobono, dessen Gesicht unbeweglich, undurchdringlich geworden war, antwortete nicht. Aber Prada schüttelte den Kopf, und das Gespräch spann sich nur noch zwischen ihm und dem jungen Priester ab.
    »Ei ja, schon wieder das Gift ... In Rom ist die Furcht davor noch immer lebendig und sehr groß. Sowie ein Todesfall unerklärlich erscheint, sowie er zu rasch oder unter verdächtigen Umständen erfolgt, hat alle Welt einmütig denselben ersten Gedanken und ruft ›Gift‹. Bemerken Sie auch, es gibt, wie ich glaube, keine Stadt, wo sich häufiger plötzliche Todesfälle begeben, als in Rom; ich weiß nicht recht, aus welchen Gründen – wegen des Fiebers, sagt man ... Ja, ja, das Gift mit seiner ganzen Legende, das Gift, das wie der Blitz tötet und keine Spur hinterläßt, das berühmte Rezept, das sich von Jahrhundert zu Jahrhundert vererbte – unter den Kaisern und unter den Päpsten, bis in unsere bürgerlich demokratischen Tage.«
    Dennoch lächelte er zuletzt selbst ein wenig skeptisch über seinen heimlichen, der Rasse und Erziehung entspringenden Schreck. Er führte Thatsachen an. Die römischen Damen entledigten sich ihrer Gatten oder ihrer Liebhaber, indem sie das Gift einer roten Kröte verwendeten. Der praktischere Locustes wandte sich an die Pflanzen und ließ eine Pflanze auskochen, die wohl der Eisenhut sein mußte. Nach den Borgias verkaufte die Toffana in Neapel in kleinen, mit dem Bilde des heiligen Nikolaus von Bari geschmückten Fläschchen ein berühmtes Wasser, dessen Hauptbestandteil zweifellos Arsenik war. Es gab noch außerordentliche Geschichten von Stecknadeln mit plötzlich tötenden Stichen, von einem Becher Wein, der vergiftet ward, indem man darin eine Rose entblätterte, von einer Schnepfe, die mit einem präparirten Messer entzwei geschnitten wurde, und wovon die vergiftete Hälfte einen der beiden Tischgenossen tötete.
    »Ich selbst hatte in meiner Jugend einen Freund, dessen Braut in der Kirche am Hochzeitstage tot niederfiel, bloß weil sie an einem Blumenstrauß gerochen hatte ... Warum wollen Sie also nicht glauben, daß das berühmte Rezept sich wirklich überliefert hat und einigen Eingeweihten bekannt geblieben ist?«
    »Weil die Chemie zu viele Fortschritte gemacht hat,« sagte Pierre. »Wenn die Alten an geheimnisvolle Gifte glaubten, so kam das daher, weil ihnen alle Mittel zur Analyse fehlten. Heutzutage würde das Gift der Borgia den Naiven, der sich seiner bedienen wollte, geradewegs vor das Kriminalgericht führen. Das sind Märchen und es hält schwer, daß die guten Leute sie noch im Romanfeuilleton dulden.«
    »Mir soll es recht sein,« fuhr der Graf mit seinem unbehaglichen Lächeln fort. »Sie haben zweifellos recht ... Aber sagen Sie das doch einmal Ihrem Gastfreund, dem Kardinal Boccanera, der einen alten, zärtlich geliebten Freund, Monsignore Gallo, in seinen Armen gehalten hat, als er im vorigen Sommer binnen zwei Stunden starb.«
    »Eine Gehirnkongestion reicht für zwei Stunden aus, und eine Pulsadergeschwulst führt den Tod sogar in zwei Minuten herbei.«
    »Das ist wahr, aber fragen Sie ihn, was er sich bei den langen Schauern, dem bleifarbenen Gesicht, den einfallenden Augen, dieser Schreckensmaske gedacht hat, in der er seinen Freund nicht mehr erkannte. Er ist vollständig davon
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