Rolf Torring 015 - An Tibets Grenze
Posten kommt, läßt du ihn vorbeigehen und schlägst dann mit dem Zweig dicht hinter ihm auf den Mauerrand. Dann wird er sich bestimmt umdrehen — du kannst ja ruhig mit den Blättern hin und her rascheln, damit er denkt, es ist ein Tier, und neugierig wird — und das Übrige werde ich schon besorgen."
Damit verschwand er nach links und ließ mich in einem gewissen Zwiespalt zurück. Gewiß, der Plan war ganz gut, aber wenn nun der Posten sofort hinunterschießen würde? Zwar war es so dunkel, daß er mich kaum sehen konnte, während ich ihn als Silhouette gegen den Himmel ganz gut beobachten konnte, aber mit Zwischenfällen konnte man immer rechnen.
Doch jetzt warf plötzlich der Mond sein bleiches Licht über die Mauer und hüllte mich in deren Schlagschatten, und jetzt kam auch der Posten. Langsam schlenderte er daher, und aus seinem ganzen Gebaren war deutlich zu ersehen, daß es hier wohl nie einen unliebsamen Besucher gab. Und vielleicht war diese ganze Wache auch erst kürzlich eingerichtet worden, was darauf schließen ließ, daß Gai und Baber eingetroffen seien
Jetzt war er an mir vorbei. Sofort hob ich den Zweig und streifte raschelnd über den Mauerrand. Der Posten blieb stehen und lauschte. Ich raschelte wieder kurz, und zu meiner Freude drehte er sich um und kam langsam zurück.
Nun kam es darauf an, ihn einige Augenblicke festzuhalten bis Rolf eingreifen konnte. Deshalb zog ich den Zweig etwas zurück und raschelte dicht unter dem Mauerrand, so daß er den Ursprung der Töne nicht erkennen konnte. Er mochte aber wohl annehmen, daß es eine Schlange sei, denn er zog den Dolch und schlich geduckt näher.
Direkt über mir stand er jetzt, beugte den Kopf vor und blickte scharf an der Mauer herunter. Ich bekam einen heftigen Schreck, denn jetzt konnte er mich leicht entdecken. Da sah ich dicht hinter ihm Rolf auftauchen.
Aber mein Freund konnte wenig machen, weil der Inder zu gebückt dastand. Er mußte ihn fest an der Kehle packen und sofort zurückziehen können
Da stieß ich den Zweig direkt nach dem Gesicht des Postens. Und wie erwartet, zuckte er zurück und stand aufrecht da. Und im gleichen Augenblick warf Rolf seine Hände um seinen Hals.
Der Posten fing an zu zappeln aber da warf ihn Rolf mit kräftigem Ruck von der Mauer, so daß er in seinen klammernden Fäusten schwebte. Und nach einigen zappelnden Gliederverrenkungen wurde er still. Langsam ließ Rolf ihn hinab, ich fing ihn auf und legte ihn auf die Erde.
Im nächsten Augenblick stand Rolf neben mir, wir zogen den Inder aus, fesselten ihn peinlich genau und gaben ihm einen guten Knebel aus einem Stück seines langen Rockes.
„Du läufst jetzt am Metalltor vorbei und bleibst dicht hinter ihm stehen," befahl Rolf. "Ich werde den zweiten nicht direkt über dem Tor erwarten sondern ihm ein Stück entgegengehen. Denn ich vermute, daß beim Tor ein dritter Wächter sitzt. Schnell, wir dürfen ihn nicht lange warten lassen."
Es war aber schon zu spät Ich blieb dicht hinter Rolf, der schneller ging, um die verlorene Zeit einzuholen. Und als wir das große Tor erblickten sahen wir den zweiten Posten direkt über ihm stehen
„Geh nur einige Schritte weiter," flüsterte Rolf mir da zu, „ich/
werde hier stehen bleiben und versuchen ihn herzulocken"
Ich ging vier Schritte vor, drehte mich dann um und guckte zu Rolf hinauf. Er war stehen geblieben und winkte jetzt eifrig und geheimnisvoll dem zweiten Posten.
Er machte so eigenartige fast beschwörende Bewegungen dazu, daß der Inder neugierig wurde und zu unserer Freude schnell näher kam.
Als er noch ungefähr zehn Meter entfernt war, fing er an leise zu rufen, aber Rolf schüttelte lebhaft den Kopf und winkte stärker. Jetzt war der Posten an mir vorbei und blieb dicht vor Rolf stehen, der seine Bewegungen plötzlich eingestellt hatte.
Wieder rief der Inder einige Worte, wurde aber durch eine energische Handbewegung Rolfs zum Schweigen gebracht. Und jetzt trat wieder mein Zweig in Tätigkeit. Einige Schritte hinter dem Posten raschelte ich auf dem Mauerrand hin und her.
Und es ging wie beim ersten Posten. Der Inder drehte sich um, bückte sich, mein Zweig schnellte hoch, und Rolf warf seine Hände um den Hals des Zurückprallenden. Wieder flog der Körper von der Mauer, hing einige Augenblicke in Rolfs Fäusten und wurde dann von mir abgenommen. Nach wenigen Minuten war er entkleidet, gefesselt und geknebelt, und ich schritt ruhig als Inder auf der Mauer entlang.
Rolf war über
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