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Roemisches Roulette

Roemisches Roulette

Titel: Roemisches Roulette
Autoren: Laura Caldwell
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Hundert Dollar zu Kits Ticket beigesteuert. Seit ihrer Rückkehr aus L.A. war sie völlig abgebrannt. Nicht, dass das etwas Neues gewesen wäre. Ich kannte Kit seit dem ersten Schuljahr. Nach dem frühen Tod ihres Vaters hatten ihre Mutter und sie den Gürtel sehr eng schnallen müssen. Also bezahlte ich oft ihre Kinokarten oder die Armbänder in Claires Boutique, damit sie mit den anderen Mädchen mithalten konnte. Und nun war bei ihr das Geld noch knapper. Kit erzählte den Leuten stets, sie arbeite “in der Werbeabteilung des Goodman Theaters”. Das entsprach der Wahrheit und machte was her. Zutreffender war allerdings, dass sie dort als eine Art Sekretärin arbeitete. Sie machte die Ablage, stellte Infomaterial zusammen und nahm Anrufe entgegen. Und sie bekam ein mickriges Gehalt, das in der Regel direkt in die Krebsbehandlung ihrer Mutter floss.
    “Das habe ich wirklich gerne gemacht”, versicherte ich Kit und drückte ihre Hand. Ich war aufgekratzt von der albernen Hoffnung auf eine wiederbelebte Freundschaft und – wenn es mir gelang, das Verkaufsgespräch am nächsten Tag für einen Moment zu verdrängen – von der kurzen Flucht aus der Realität.
    Kit und ich checkten im Il Palazzetto ein, einem restaurierten Palazzo nahe der U-Bahn-Station Spagna. Im vergangenen Sommer waren meine Mutter und ihr neuer Ehemann – ein Immobilienmogul, der um einiges älter war als sie – zwei Monate in Rom gewesen und hatten im Il Palazzetto residiert. Sie hatte darauf bestanden, dass wir uns ebenfalls hier ein Zimmer nahmen. Alles andere sei absurd. Als wir das kleine Foyer betraten, wurde mir sofort klar, was sie meinte.
    Der Fußboden bestand aus einem einzigen bunten Steinmosaik. Sonnenlicht überflutete die Wendeltreppe aus Marmor samt ihrer verdrillten schmiedeeisernen Geländer. Unser Zimmer befand sich in der zweiten Etage und hatte eine traumhaft hohe Decke. Sie wurde durch römische Säulen getragen und über die Wände spannte sich fließend zarter Seidenstoff.
    Ich öffnete die Balkontür. Gerade rechtzeitig, um Zeuge zu werden, wie das reine weiße Sonnenlicht die Spanische Treppe erreichte.
    Ich warf Kit ein genießerisches Lächeln zu.
    “Das wird ein schönes Wochenende”, sagte sie. Der Klang ihrer Stimme verriet mir, dass sie aufgeregt war wie schon lange nicht mehr. “Ein verdammt schönes!”
    Während ich mich wieder dem römischen Morgen zuwandte, nickte ich.
    Einfach jeder Mensch liebt Italien. Ein Erwachsener, der schwärmt: “Oh, ich verehre Italien”, ist nicht anders als ein Kind, das ruft: “Ich liebe Disneyland!”
Man kann gar nicht anders.
    Lustig ist, dass alle Bewunderer Italiens glauben, sie hätten dieses Land als Erste entdeckt. Sie verspüren eine Liebe für sämtliche italienische Details: das Essen, die ockergelben Sonnenuntergänge, den Wein, das beschauliche Leben. Dieses Gefühl stellt sich ein, sobald sie den Fuß auf die staubigen Straßen Roms setzen und endet in dem Moment, in dem sie die Heimreise antreten. Jeder Italien-Fan weiß, dass er dieses Land mehr liebt als alle anderen. Er fühlt, dass nur er dieses Land wirklich versteht und wahrhaft zu schätzen weiß.
    Kit und ich bildeten da keine Ausnahme. Wir hatten nur drei Tage in Rom. Anstatt den Rest des Tages zu verschlafen, ließen wir unseren Jetlag also links liegen und brachen zu einem Spaziergang mit Kaffeepause in der Stadt auf.
    An der nahe gelegenen Piazza Navona entdeckten wir eine gemütliche Bar. Der Platz war in einer großen U-Form angelegt und wurde in der Mitte von einem großen Obelisk, einer Bernini-Skulptur und einem Brunnen geziert. Einst hatten hier Wagenrennen stattgefunden, nun beherbergte dieser Ort Cafés und wurde von Fußgängern bevölkert.
    “O Mann, das war jetzt wirklich bitter nötig”, stöhnte Kit, nachdem wir vor der Bar Platz genommen hatten. Vor uns standen zwei Tassen Cappuccino und ein Korb mit frischen Brötchen. Kit schlug die Serviette zurück und hielt mir den Korb hin. Ich nahm mir ein Hörnchen, sie tat es mir gleich.
    “Finde ich auch”, stimmte ich ihr zu. “Wie geht es eigentlich deiner Mom?”
    Sie zuckte mit den Achseln, wobei ihr Chiffon-Schal in Bewegung geriet. “Sie hält sich genau an die Vorgaben der Ärzte, aber sie weiß, dass die Chemotherapie gleichzeitig einen Körperteil kuriert und einen anderen zerstört.”
    “Wie furchtbar.” Für einen Augenblick verspürte ich tiefe Dankbarkeit dafür, zwei gesunde Eltern zu haben. Gesunde, geschiedene,
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