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Roemisches Roulette

Roemisches Roulette

Titel: Roemisches Roulette
Autoren: Laura Caldwell
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Mausklicks überweise ich genau die Hälfte des Geldes von unserem gemeinsamen Konto auf mein eigenes.
    Ich verlasse das Büro, gehe von Zimmer zu Zimmer und präge mir alles genau ein. Mein Blick fällt auf die grüne Vase, die Nick und ich in Mexiko gekauft haben. Ich nehme unser Hochzeitsfoto und klemme es mir unter den Arm. Ich gehe den Flur hinunter zum Kinderzimmer. Ich starre die halbfertige Bordüre an – gelbe Küken und weiße Häschen auf mintgrünem Grund. Ich fahre mit der Hand über das Gitterbettchen aus Kiefernholz. Als ich gehe, schließe ich die Tür.
    Nachdem ich in jedem Zimmer der Wohnung war, nehme ich einen kleinen Koffer aus dem Garderobenschrank im Flur. Ich lege ihn auf unser Bett und packe das Hochzeitfoto und Robertos Gemälde hinein. Einige Dinge soll man eben nicht vergessen. Auf die Bilder lege ich meinen Pass, ein paar Farben und Pinsel, einige Jeans und Shorts, eine Handvoll T-Shirts und Pullover, einen Schlafanzug, einen Badeanzug und meinen Kulturbeutel. Ich nehme eine kurze Dusche, dann schlüpfe ich in eine khakifarbene Hose, einen Rollkragenpullover und flache Lederschuhe, in denen ich besonders gut laufen kann.
    Während ich den Koffer durch die Wohnung ziehe, schalte ich nacheinander die Lichter aus. Am Garderobenschrank bleibe ich stehen und ziehe mir den schwarzen Wollmantel an. Ich knöpfe ihn bis oben hin zu und wickle mir einen pinkfarbenen Schal um den Hals.
    Ein letztes Mal lasse ich meinen Blick durch das Appartement schweifen. Am Balkon vor dem Wohnzimmerfenster bleibt er hängen, und meine innere Ruhe wird kurz aufgewühlt. Ich schlucke das mulmige Gefühl herunter, schalte das Flurlicht aus und gehe.
    Vor dem Gebäude überquere ich die Straße und gehe einen halben Block bis zum nächsten Briefkasten. Ich öffne ihn und will gerade den Brief an Detective Bacco einwerfen, da zögere ich. Einen Moment lang stehe ich reglos da. Dann noch etwas länger. Ich überlege, ob ich das Richtige tue. Ich glaube nicht mehr an das offensichtlich Richtige oder Falsche. Ich atme tief durch, ziehe die Hand mit dem Brief zurück und lasse die Klappe des Briefkastenschlitzes mit einem leeren Knall zuschlagen.
    Ich drehe mich um und winke ein Taxi heran. Drinnen riecht es würzig und fremd. “Zum O’Hare-Flughafen, bitte”, sage ich zu dem Fahrer.
    Er stellt den Taxameter an und fährt vom Straßenrand ab. “Welches Terminal?”
    “International.”
    “Welche Fluggesellschaft?”
    “Weiß ich noch nicht.”
    Der Taxifahrer lacht spöttisch, sagt aber nichts mehr.
    Vor dem Flughafengebäude geht es hektisch zu. Die Sonne scheint. Als ich aus dem Taxi steige, lächelt mich ein Gepäckträger an. “Möchten Sie heute Ihr Gepäck abgeben?”
    “Nein, danke.”
    Ich betrete das Terminal und sehe mir meine Möglichkeiten an:
Aer Lingus. Air France. Air Jamaica. Alitalia.
An dieser Stelle halte ich für einen Augenblick inne. Dann schüttele ich den Kopf. Mein Ziel liegt in einem völlig fremden Land. Das weiß ich genau.
    Ich lese weiter:
British Airways. Cayman Airways. Korean Air. Mexicana. Royal Jordanian. Turkish Airlines.
    Dann fällt mir ein, dass ich unbedingt noch etwas erledigen sollte, bevor ich mich für ein Ziel entscheide. Bevor ich mich überhaupt entscheiden kann. Ich durchquere das Terminal bis zu einem Informationsschalter, an dem eine ältere Dame sitzt.
    “Können Sie mir sagen, wo ich einen Briefumschlag und Briefmarken bekomme?”
    Sie streckt den Arm aus. “Gehen Sie diesen Gang bis zum Ende und dann rechts. Da ist ein kleiner Laden.”
    Ich finde das Geschäft und kaufe einen weißen Briefumschlag und eine Briefmarke. Ich nehme den anderen, an Detective Bacco adressierten Briefumschlag aus meiner Handtasche und falte ihn zu einem schmalen Streifen. Ich lege ihn in den neuen Briefumschlag und schreibe Nicks Namen und die Adresse am Lake Shore Drive darauf.
    Bevor ich ihn zuklebe, nehme ich eine alte Visitenkarte aus meinem Portemonnaie. Auf die Rückseite schreibe ich:
    Nick, in diesem Brief steht meine Wahrheit. Ich werde niemandem davon erzählen, aber ich kann sie auch nicht vergessen. Bitte lass mich gehen.
    Ich hoffe, du findest all das, wonach du suchst. Rachel.
    Ich stecke die Karte in den Briefumschlag. Ich verschließe ihn, frankiere ihn und gehe durch die Abflughalle zu einem Briefkasten. Dieses Mal zögere ich nicht. Ich werfe den Brief ein. Gleich danach fühle ich mich leichter, beinahe schwerelos. Als wären dieser Brief und die Wahrheit eine
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