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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied
Autoren: P Grote
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das elterliche Weingut, und damit glaubten sie, ausgesorgt zu haben.
    Die außergewöhnliche Ruhe war Johanna recht. Es würde weniger anstrengend werden. Sie schloss ihr Laptop an den Beamer an, probierte beides aus, dann bat sie eine Studentin, den Inhalt der letzten Vorlesung zusammenzufassen. Als die Studentin stockte, forderte sie einen Kommilitonen auf fortzufahren. Sie hatte kein Interesse, irgendwen mit seinem Unwissen vorzuführen. Sie wollte niemanden prüfen, sie wollte lediglich an ihr Thema der letzten Woche anschließen. Aber die gedrückte Stimmung im Raum verunsicherte sie doch, so zahm hatte sie ihre Studenten nie erlebt.
    »...   also gut, vielen Dank für Ihre Ausführungen.« Damit |36| beendete Johanna die Wiederholung. »Machen wir uns noch einmal Folgendes klar: Wir gehen von einer Verknappung der Energie aus und damit von steigenden Preisen. Durch Erhöhung unserer Preise können wir die Steigerung nicht auffangen, es würden uns Kunden wegbrechen. Also müssen wir unsere Kosten senken. Und langfristig gedacht müssen wir unsere Energiebilanz verbessern. Energie benötigen wir im Weinbau wofür?«
    Merkwürdigerweise gab es heute so viele Meldungen wie sonst nie. »Für die Produktion der Trauben, für die Weinbereitung und die Vermarktung.«
    »Richtig. Einen Teil der Energie dafür bekommen wir gratis – von der Sonne, wenn wir die Blätter für die Photosynthese als Kollektoren sehen und den Regen als Ersatz für Bewässerung, die bei fortschreitendem Klimawandel in einigen Regionen durchaus auf uns zukommen könnte.«
    Der Konjunktiv, die Möglichkeit, dass es so werden könnte, war den Studenten geschuldet. Sie selbst war überzeugt, dass Wasser zur Überlebensfrage werden würde.
    »Aber um die Photosynthese zu verbessern, benötigen wir bereits Energie, und zwar für den Schnitt der Laubwand. Sollten wir das per Hand erledigen, brauchen wir zumindest Kraftstoff für unser Fahrzeug, das uns in den Weinberg bringt. Geschieht der Laubschnitt maschinell, benötigen wir zusätzlichen Dieseltreibstoff und Strom für die Akku-Schere. Wir waren demnach bei der Erstellung und der folgenden Auswertung unserer Energiebilanz, dem folgt die Ermittlung der Energiekosten und die Berechnung der CO 2-Emissionen . Wir haben eine Musterrechnung aufgemacht und ein Familienweingut in der Pfalz von der Größe von sieben Hektar angelegt   ...«
    Niemand sprach, alle hörten aufmerksam zu. Gemeinsam wurden die Betriebsstunden pro Jahr ermittelt, von der Unterstockpflege bis zum Ausbringen des Tresters nach der Kompostierung. Bei der Festlegung des Energieverbrauchs |37| und der Kosten für die Kellerarbeiten war man sich noch einig, aber dass die Fahrten zu Kunden und Messen mit dem Lieferwagen zwecks Vermarktung der Weine die Hälfte aller Kosten ausmachte, verblüffte die Studenten. Die Bilanz ergab vierzehn Cent Energiekosten pro Liter Wein und zweihundertachtzig Gramm CO2 für den Transport.
    Welche Einsparpotenziale sich in einem bisher konventionell geführten Betrieb ergaben, würden sie in der nächsten Veranstaltung behandeln. Es war allen freigestellt, sich vorab mit dieser Frage zu beschäftigen oder aus den eigenen Betrieben über Umstellungsmaßnahmen zu berichten.
    Im Gegensatz zu dem sonst aufbrandenden Lärm packten die Studenten leise ihre Blocks und Kladden ein, nur wenige hatten mitgeschrieben. Die Mehrheit würde warten, bis die Zusammenfassung dieser Vorlesung im Internet abrufbar war. Während Johanna ihren Rechner herunterfuhr, dachte sie darüber nach, wie anders ihr eigenes Studium verlaufen war. Vor fünfundzwanzig Jahren hatten sie wesentlich mehr selbst entwickeln müssen, das Schwergewicht hatte auf Seminararbeit und auf Hausarbeiten gelegen und weniger auf dem Abfragen angelernten Wissens.
    Allerdings war der Lehrplan in den Fachbereichen Weinbau und Getränketechnologie derart umfangreich, dass man nach den alten Methoden weit mehr als drei Jahre für den Abschluss als Bachelor benötigt hätte. Chemie, Betriebswirtschaft, Physik und Phytomedizin, Mathematik sowie Statistik waren bereits im ersten Studienjahr erledigt worden. Exkursionen, Projekte im Weinberg wie im Keller sowie Übungen waren dem dritten Studienjahr vorbehalten. Je länger Johanna hier dozierte, desto mehr lernte sie selbst. Es war unglaublich, wie kompliziert und komplex sich die Weinbereitung, die sie früher für einen eher einfachen Prozess gehalten hatte, für sie inzwischen darstellte, wenn sie
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