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Richard Dübell

Richard Dübell

Titel: Richard Dübell
Autoren: Allerheiligen
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unmöglich, das Paketband zu lösen. Schließlich drückte er das Kind an sich und wiegte es. »Schon gut«, murmelte er, »schon gut.« Sein Blick fiel auf ein Bild an der Wand – ein Familienfoto. Ein Mann, eine Frau und das Mädchen, das in seinen Armen zappelte, ein oder zwei Jahre jünger als jetzt. Die Familie des Juweliers. Ein Schuss hatte das Glas zerschmettert und ein Loch in das Foto und die Wand dahinter geschlagen.
    »Geben Sie mir das Kind«, ertönte eine Frauenstimme. Eine Sanitäterin stand neben Robert. Er fragte nicht, wie sie hereingekommen war, obwohl die anderen Räume des Hauses nicht als gesichert galten. Die Situation war ein einziges Chaos. Er nickte der jungen Frau zu und reichte ihr das hysterische Kind. In seinem Hirn formte sich eine Idee, die so schrecklich war, dass sie sich nicht zu Ende denken ließ. Er steckte die Pistole ein und rannte hinaus.
    Harald stand mit herabhängenden Armen vor dem Leichnam des Geiselnehmers. Die Frau des Juweliers kniete neben dem Toten und wiegte sich stöhnend hin und her. Robert blieb stehen, als sei er gegen eine Wand gerannt.
    Es war nicht der unförmige Kopf eines Monsters gewesen, den Robert gesehen hatte, sondern einer jener lächerlichen Papp-Ritterhelme, wie man sie zu Dutzenden auf Weihnachts- oder Mittelaltermärkten kaufen konnte. Harald hatte dem Toten den Helm abgezogen und dann fallen lassen. Zwei runde Löcher waren dicht nebeneinander in die Stirnregion des Helms gestanzt. Harald hatte auf der Schießbahn Robert immer mühelos besiegt.
    Blofeld lag auf dem Rücken und schaute in den dunkel gewordenen Nachthimmel. Die Einschusswunden in seiner Stirn hatten kaum geblutet, aber unter seinem Kopf breitete sich eine dunkle Lache aus, die immer größer wurde. Die Gesichtszüge des Mannes waren ausdruckslos, weil für ihn nun alles egal war.
    Nur, dass der Tote nicht Blofeld war. Der Tote war der Juwelier, und das war alles andere als egal. Seine Witwe begann zu schluchzen. Robert hatte das Gefühl, dass die Welt aufgehört hatte, sich zu drehen. Vor seinem inneren Auge sah er das lachende Gesicht des Juweliers neben dem Einschussloch in dem Familienfoto. Sie hatten eine Geisel verloren? Ja – jetzt. Und sie hatten sie selbst erschossen.
    Haralds Mund war ein weißer Strich. »Es war nur ein Ablenkungsmanöver«, sagte er tonlos, »damit Blofeld abhauen konnte. Und bevor er abhaute, hat er den armen Teufel aus einem Versteck heraus abgeknallt.«
    Roberts Blick fiel auf Haralds Pistole.
    Harald bemerkte es und steckte die Pistole ein. »Blofeld«, sagte er erneut tonlos, »hat den Juwelier erschossen. Ja, Robert? Blofeld hat ihn erschossen.«
    Harald hob den Blick, aber er konnte dem Roberts nicht begegnen. Er senkte den Kopf.
    Robert dachte daran, dass er der Einzige war, der gesehen hatte, dass Harald geschossen hatte. Er dachte an ihre Versuche, einander näherzukommen, dachte an die Loyalität, die man sich unter Kameraden schuldete, dachte daran, was geschehen würde, wenn die Wahrheit herauskam.
    »Ich kriege das Schwein«, flüsterte Harald. »Dann wird der Tod dieses Mannes nicht vergebens sein.« Er hob nun doch den Kopf und starrte Robert drängend an.
    Robert sah die nackte Not im Blick seines Vorgesetzten.
    Mit dem Gefühl, das Falsche zu tun, wisperte er: »Ich gebe dir einen Tag. Dann stellst du dich.«

Freitag
    19 . Juli
2 .
    »Ich sehe, Sie haben nichts berührt, Monsignore«, sagte Kriminalhauptkommissar Peter Bernward und betrachtete die Opfer, die vor ihm auf den Steinen des Ostportals lagen. Die Landshuter Martinskirche ragte über ihnen auf, ein Gebirge aus Backsteinen, die im Dämmerlicht blau und kalt wirkten.
    Stiftspropst Tiodoro warf sich in die Brust. »Ich weiß, wie man sich an einem Tatort verhält«, erklärte er. Und etwas knurriger: »Die leidvolle Erfahrung, wissen Sie.«
    »Mmmmh! Mmmmmh!«, machte eines der beiden Opfer und wand sich.
    »Eine Decke hätten Sie schon drüberbreiten dürfen«, sagte Peter milde. »Es ist vier Uhr morgens, und es ist etwas kühl.«
    »Ich hab eine Decke«, sagte Flora Sander. Sie war wie Peter Bernward Hauptkommissarin und in den meisten Ermittlungen seine Partnerin. Sie hatte eine graue Wolldecke aus dem Einsatzfahrzeug geholt und breitete sie über die beiden jungen Leute auf dem Boden. Der Stiftspropst stand mit finsterem Gesicht abseits. Peter wusste, dass es keineswegs eine gezielte Schikane von seiner Seite gewesen war, den Opfern keine Decke überzuwerfen. Der Ärger,
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