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Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen
Autoren: Jakob Ejersbo
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in der Armee gelernt, und jetzt will er in die Tropen, um einen Ort zu finden, an dem er sich niederlassen kann. Sobald er Zeit hat, treffen wir uns in der Stadt oder bei mir. Das ist nicht immer leicht, denn er unterrichtet abends, wenn ich frei habe; und tagsüber bin ich ja im Ministerium. Aber ich fange an zu träumen. Ich bin neunzehn Jahre alt, und eigentlich langweile ich mich in dem Büro zu Tode. All meine Freunde sind in der Welt herumgereist, haben Musik gemacht und die unterschiedlichsten Dinge erlebt. Es klingt einfach spannend, ich will das auch. Allerdings habe ich überhaupt keine Idee, wie ich das Geld verdienen könnte, um fortzukommen. Jacques hingegen ist ein großer James Bond- actionman . Ein erwachsener Mann, der die Dinge im Griff hat, der Pläne schmieden kann und der einen großen Schwanz hat. Er hat weder einen Isländer-Pulli noch eine Hippie-Frisur, sondern eine Vergangenheit. Als Soldat.
    Jacques kam zur Armee, als er achtzehn Jahre alt war, und er ist groß für einen Franzosen: 1,84 Meter. Die Durchschnittsgröße der Franzosen beträgt hundertsiebzig Zentimeter. Außerdem ist er wirklich kräftig gebaut, daher kam er sofort zum Elitetraining. Sie trainierten außerhalb von Nizza, in einem Fort, in dem sie fast gefoltert wurden, wenn sie nicht blind gehorchten. Eine der Strafmethoden bestand in einer einmal ein Meter großen Zelle mit einem tropfenden Wassertank als Dach. Darin mussten sie bis zu vierzehn Tage stehen, liegen oder zusammengekauert hocken. Heraus kamen sie als Wrack. Er hat es ausprobiert – völlig irre. Und Eilmärsche mit vollem Gepäck, nur hatten sie statt gewöhnlicher Rucksackgurte lediglich Schnüre, die richtig in die Haut schnitten. Natürlich um ihre Schmerzgrenze zu erhöhen. Jacques wurde mit voller Ausrüstung aus einem Hubschrauber geworfen – es ging darum, richtig auf dem Boden aufzukommen und sich nicht die Knöchel zu brechen.
    Er wurde nach Algerien in den Krieg geschickt, als das Land Ende der fünfziger Jahre versuchte, die französische Herrschaft abzuschütteln. Die Vortruppen, die ins Land gebracht wurden, sollten Aufständische lokalisieren und foltern, um ihnen Informationen abzupressen. Sie verpassten ihnen elektrische Stöße mit Generatoren, verprügelten sie und wendeten auch sonst alle möglichen widerlichen Methoden an. Jacques sagt, es sei einfach ein enorm starkes Gefühl gewesen. Er fühlte sich lebendig, es war das Leben. Als er aus dem Krieg zurückkam, konnte er überhaupt nichts spüren – alles war tot und flach. Es vergingen viele Jahre, bevor er anfing, einfach wieder ein wenig Mensch zu sein. Zunächst begann er mit Todesrennen. Er fuhr mit dem Auto auf der falschen Straßenseite auf Entgegenkommende zu – bis zum letzten Moment. Vollkommen lächerlich und kindisch. Aber schließlich war er ja auch nichts anderes als ein großer dreiundzwanzigjähriger Junge, als er aus dem Militärdienst entlassen worden war.
    Danach ging er nach Paris, studierte Literatur an der Sorbonne und schrieb Schundromane. »Das kann doch jeder Idiot«, behauptete er und lebte eine Zeit lang davon. Aber Frankreich funktionierte nicht. Er stammt aus Salzburg und hat einen tiefen Hass auf seine Familie entwickelt. Der Vater ist ein Trinker, und seine Mutter gilt als die Hexe der Gegend. Und sein Bruder und seine Schwester, die wesentlich älter sind als er, sind richtige bourgeois – Bürgerliche –, die er zutiefst verachtet. Noch nie zuvor habe ich einen Menschen erlebt, der seine Familie dermaßen schlechtmacht. Dann fand Jacques heraus, dass er in Italien als Reiseführer Geld verdienen konnte.
    »Kannst du denn Italienisch?«
    »Italienisch, Französisch, Dänisch, Deutsch, Englisch und Spanisch«, antwortet er. »Ich war mit einer Spanierin verheiratet. Und ein bisschen Arabisch.«
    »Du warst verheiratet?«
    »Ja. Damals, als ich in Nizza lebte, bin ich einer Spanierin begegnet. Wir haben geheiratet und ein Kind, eine Tochter. Dort habe ich mir auch meine Nase richten lassen.«
    »Deine Nase?« Ich schaue sie mir an. Es ist eine gerade Nase mit so einem kleinen Bogen. Und Jacques zieht seine Brieftasche heraus und zeigt mir ein Bild von sich. Auf dem Foto hat er eine wirklich gewaltige Adlernase. »Och, nee, wieso hast du das denn gemacht?« Ich bin verrückt nach Hakennasen, aber seine ist weg.
    »Sie war nicht schön«, antwortet er und erzählt, er hätte eine plastische Chirurgin kennengelernt.
    »Die Spanierin?«
    »Nein, eine andere
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