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Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen
Autoren: Jakob Ejersbo
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Schüler aus Kopenhagen und Frederiksberg, vor allem aber aus den vornehmen Orten an der Øresund-Küste. Ihre Eltern sind Direktoren, die keine Zeit für ihre Kinder haben: Vater muss sich um seine Karriere kümmern, und Mutter sitzt bei einer Gesichtsmaske und lässt sich maniküren, wenn sie nicht gerade shoppen ist. Wir reden nicht über unsere Eltern, aber wenn diese Schüler nach dem Wochenende zurückkehren, bringen sie eine Menge neuer Klamotten mit. Ihre Eltern fahren große Autos und sind sehr hübsche Menschen.
    Im Sommer fliege ich in den Ferien nach Hause; jetzt bin ich fremd und interessant. Ich stopfe mich mit dem Essen aus Mutters Fleischtöpfen voll und betrinke mich mit meinen alten Freunden, in den hellen Nächten zünden wir ein Feuer am Strand an. Anton entjungfert mich auf einer Wiese mit Sommerblumen.
    Nach vier Jahren auf dem Internat von Tølløse habe ich meinen Realschulabschluss und ziehe nach Kopenhagen; mein Vater hat mir einen Ausbildungsplatz als Bürokraft im Grönlandministerium besorgt. Im Januar 1973 beginne ich bei Grønlands Tekniske Organisation, einer Unterabteilung des Ministeriums, das seine Büros am Hauser Plads hinter dem Kultorvet hat.
    Das Durchschnittsalter im Grönlandministerium liegt bei sechzig Jahren, und ich bin die einzige Auszubildende. Ich schließe keine Freundschaften, aber alle sind unglaublich nett, einige sogar fantastisch. Okay, es gibt die eine oder andere weibliche Bürokraft, die fürchterlich prüde ist – einheimische Dänen, die nie in Grönland waren. Aber die meisten sind alte Grönlandfahrer, die jahrelang dort gearbeitet haben. Sie sind total tolerant und reißen untereinander jede Menge Witze, es herrscht eine gute Stimmung. Allerdings arbeiten hier keine Grönländer – ich bin diejenige, die noch am ehesten so aussieht.
    Ich bin ein kleiner Hippie und laufe in geblümten Hemden, John-Lennon-Brille und Clogs herum, aber das ist in Ordnung, das darf man im Ministerium. Nebenher besuche ich die Handelsschule, während ich mich durch die verschiedenen Abteilungen des Ministeriums arbeite: die Textstelle, den Kopierraum, die Post, das Archiv und das Rechnungswesen, das mir allerdings nicht so gut gefällt. Ich lerne stenografieren, ich bin gut bei der Ablage und hervorragend im Päckchenpacken. Eine Weile arbeite ich auch am Telex und schreibe direkt nach Grönland.
    Ich bin achtzehn Jahre alt und kenne in Kopenhagen nicht einen Menschen. Viele Mitschüler im Internat waren Auslandsdänen und sind dorthin gezogen, wo ihre Eltern arbeiten, ein paar sind auch auf das berühmte Gymnasium von Herlufsholm gegangen. Aber ich will nicht aufs Gymnasium, eine akademische Ausbildung interessiert mich überhaupt nicht, ich verabscheue sie.
    Meine Eltern haben mich weder vorbereitet noch irgendetwas getan, um mir zu helfen. Mein Vater hat mir die Ausbildungsstelle besorgt, den Rest muss ich selbst herausfinden. Glücklicherweise hat einer der älteren Schüler des Internats mir erklärt, dass man die Kleinanzeigen in der Zeitung lesen muss, wenn man in der Stadt ein Zimmer haben möchte; ich selbst weiß nicht, wie man es anstellt. Und ich habe keine Lust, meine großen Schwestern zu fragen. Die älteste ist mit einem Maurer aus Brønshøj verheiratet und will nur Kinder und gebratene Frikadellen. Und die andere hat nie Zeit, um sich mal mit mir zu treffen. Ich habe sie abgeschrieben – sie ist versnobt und findet es »verwerflich«, dass ich Hippie bin.
    Das erste Zimmer, das ich mir ansehe, liegt in einer großen Wohnung in Frederiksberg. Die Tür wird von einem mürrischen alten Weib geöffnet. Argwöhnisch beäugt sie mich.
    »Na, wo kommst du denn her?«
    »Nun ja, ich bin eine Dänin aus Tølløse«, antworte ich. Das ist zumindest fast korrekt, obwohl meine Mutter Grönländerin ist. Allerdings bekomme ich während des ersten Monats einige Briefe aus Grönland, und die Alte wird misstrauisch.
    »Bist du Grönländerin?«, will sie wissen.
    »Nein, aber meine Eltern arbeiten dort«, sage ich. Ein paar Tage später klopft es an meiner Tür. Ich öffne.
    »Ich möchte, dass du am nächsten Ersten ausziehst«, erklärt die Alte.
    »Aber warum?«
    »Du räumst in der Küche nicht ordentlich hinter dir auf.«
    »Ich verspreche, mich zu bessern.«
    »Außerdem lügst du. So seid ihr.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Du hast mir erzählt, du bist Dänin. Aber du siehst merkwürdig aus. Du bist keine richtige Dänin.«
    »Und was sonst?«
    »Jedenfalls will ich
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