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Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)
Autoren: Marianne de Pierres
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einen Moment die Haare aus dem Gesicht schüttelte, sah sie seine Augen. Sein warmer Blick ließ sie erschaudern. Dann kam er näher heran, als wollte er seine Wange an ihre legen. »Warum habe ich das Gefühl, dass du aus anderen Gründen hier bist als wir anderen?«
    Retra wandte den Kopf ab. Seine Nähe nahm ihr die Luft. Gleichzeitig war sie froh darüber. In ihr musste doch noch Leben sein.
    »Sie haben etwas auf meine Hand gemacht. D-dann haben sie es getestet und … dann bin ich bei dir aufgewacht«, sagte sie.
    Seine Finger schlossen sich fester um ihre Schulterknochen. Seine Lippen bewegten sich neben ihrem Ohrläppchen, sein Atem war so leicht, dass sie ihn kaum … Nein! Sie konnte ihn tatsächlich nicht spüren.
    Er ließ nicht locker. »Warum bist du hier?«
    »Ich …« Der Drang, ihm die Wahrheit zu sagen, war auf einmal so übermächtig geworden, als wenn ein Geständnis sie von Schuld und Angst freisprechen würde. Doch als sie dann den Mund öffnete, regte sich plötzlich Argwohn in ihr.
    Kein Atem. Er atmet nicht .
    Von der Handfläche kroch der Schmerz ihren Arm hinauf bis zu ihrem Schädel und stach ihr in den Nasenrücken. Aber Retra kannte Schmerz. Sie wusste, wie man ihn wegdachte.
    »I-ich will Spaß haben, das ist alles«, stammelte sie.
    Sie hob die Hand an seine Lippen, um zu fühlen, ob sie feucht waren, aber da lösten sich Markes und der Raum vor ihren Augen auf. Einen Herzschlag später war der Schmerz fort, und die Kabine öffnete sich in die Dunkelheit.
    Benommen stolperte sie durch den Ausgang hinaus und wurde von den kalten Händen eines Ripers aufgefangen – das war derselbe, der sie an Bord der Fähre gezogen und dann beobachtet hatte, wie sie von ihr herunterging. Sie war unfähig, sich zu wehren, als er sie einen steinigen, von Gestrüpp – das sich aus dem noch dunkleren Dunkel heranschob – überwucherten Pfad entlangtrug und sich dann hinkniete, um sie auf dem Boden abzulegen.
    Aus den Augenwinkeln glaubte sie im Zwielicht neben ihnen eine Bewegung wahrzunehmen.
    Riechst gut , sagte die unsichtbare Stimme … der Gedanke?
    Der Riper gab einen Zischlaut von sich. Sein Haar fiel auf ihr Gesicht, als er sich über sie beugte, sodass sie nur noch seine aschfarbene Haut und die eingefallenen Augen sah. »Für die Aufnahme mag das reichen, mir aber nicht. Ich behalte dich im Auge. Du erinnerst mich an jemanden«, sagte er.
    Seine Berührung löste eine bodenlose Angst in ihr aus. Als er sich eine Strähne ihres Haares um seinen langen, blassen Finger schlang, fing sie zu zittern an.
    »W-was meinst d-du?«
    Er hob die Strähne an den Mund und strich mit den Lippen darüber, als wolle er sie schmecken.
    Ein gespenstisches Knurren erklang. Der Riper ließ die Strähne los.
    Mein , sagte die körperlose Stimme.
    Der Riper erstarrte, wich zurück und verschwand in der Dunkelheit.
    Zitternd lag Retra da. Als ihr Körper sich beruhigt hatte, kam die Übelkeit. Sie rollte sich auf die Seite und erbrach sich.
    »Ist da jemand?«, rief eine Stimme.
    »Hier«, brachte sie heraus.
    Rollo stand am Rand des beleuchteten Geländes und spähte mit zusammengekniffenen Augen zu der Stelle, an der sie lag. »Du bist das. Was machst du da? Wir sollen doch auf den Hauptwegen bleiben.«
    Er kam zu ihr und bückte sich unbeholfen, um den Pfad nicht zu verlassen.
    Dankbar und beschämt, weil sie vorhin so schlecht von ihm gedacht hatte, nahm sie seine Hand.
    »Die Aufnahme ist … mir nicht bekommen«, sagte sie. »Deshalb bin ich ein bisschen spazieren gegangen und muss dabei wohl, ohne es zu wollen, vom Weg abgekommen sein.«
    »Du hast Glück, dass ich dich gehört habe. Du hättest dich verirren können.«
    Er zog sie hoch und führte sie auf den breiten, gut ausgeleuchteten Pfad zurück, ohne rücksichtsvollerweise den sauren Geruch des Erbrochenen zu erwähnen, der an ihr haftete.
    »Alles wieder in Ordnung?«
    Sie nickte. Jetzt, da sie aufrecht stand und der Schwindel vergangen war, war ihr der Körperkontakt unangenehm.
    Er schien ihr Unbehagen nicht zu bemerken. »Wow, sieh dir das mal an!« Er zeigte mit dem Finger geradeaus.
    Retra hob die Augen. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, überlief sie trotz ihrer Nervosität eine Gänsehaut: Lichter in allen Farben stiegen in Bögen auf, drängten sich zusammen oder leuchteten vereinzelt – Rubinrot, leuchtendes Kobaltblau und Gold. Durch die Mitte zog sich ein Streifen Smaragdgrün und teilte das Bild in zwei Teile. Die Lichtränder flossen
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