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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition)
Autoren: Eoin McNamee
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Dunkelkammer befand sich im hinteren Teil des Ladens. Abzüge der Fotografien vom Schauplatz des Mordes und der Autopsie hingen über der Wanne des Fotografen. Die Kreuzung am Damolly Hill, Straßen, die zwar zu verschiedenen Orten führten, jedoch allesamt zu Zielen voller Risiken. McCrink fragte sich, welche Arten von Begegnungen Reisende an solchen Orten hatten und was sie über jene Reisen erzählten. Daneben hing eine Serie von Fotos, auf denen die Kleider des Mädchens zu sehen waren, ihre Sachen, hilflos verstreut an dem grausigen Ort. Fotos der Leiche am Tatort, auf dem Autopsietisch. Nackte, pornografische Aufnahmen, die wie über einen längeren Zeitraum aufgenommene Bilder von verschiedenen Frauen aussahen. Auf einigen Fotos sah sie aus, als schliefe sie. Auf anderen, als läge sie arrangiert in der Landschaft. Frauen, auf dem Hügel ausgelegt wie Aas. Ein Verzeichnis des Todes. Es gab eine Serie von Nahaufnahmen, die das Gesicht des Mädchens zeigten, die Augen offen und glasig, die Lippen geöffnet.
    Er drehte sich um und sah Mervyn in der Hintertür stehen.
    »Ich hab sie nicht getötet«, sagte Mervyn.
    »Ich hab Sie nicht gefragt, ob Sie’s waren«, sagte McCrink, »aber hätte ich die Zeit gehabt, hätte ich Sie zum Corry Square gebracht und zum Schwitzen gebracht. Sie und Copeland und die Hälfte der Männer dieser Stadt und Bratty gleich mit dazu.«
    »Was haben Sie jetzt vor?«, sagte Mervyn.
    »Nichts. Bleiben Sie hier mit Ihrer Freundin.«
    McCrink verließ das Hinterzimmer, ging durch den Schusterladen und stand wieder auf der Promenade. Der Nebel roch nach Schlamm, von der Ebbe freigelegt. Er versuchte, zu Margarets Wohnung zurückzufinden, hilflos im Gestank des Flusses und der Leichenfinsternis des Ortes, verloren in der auf Sumpf erbauten Stadt.
    *
    In dieser Nacht spielte Harry Ferguson mit Richter Curran Billard. Curran erwähnte die Hinrichtung, die am nächsten Tag stattfand, mit keinem Wort. Er redete über seinen Versuch, im Kronrat einen Sitz zu ergattern.
    »Ich gehe davon aus, ich habe Faulkners Unterstützung?«
    »Er hatte eine stärkere Position, weil er bei Verbrechen einen harten Kurs fährt.«
    »Das denkt er bloß. In Westminster schert man sich nicht um Faulkner. Allerdings ist im Kronrat für Nordirland ein Sitz zu besetzen, und das liegt zum Teil in seinem Einfluss.«
    »Sie kriegen seine Unterstützung. Es ist unwahrscheinlich, dass McCrink die Sache vermasselt. Er wird Mrs Curran nicht mehr besuchen.«
    Curran beugte sich über den Tisch. Er platzierte seine Finger auf dem Filz und legte den Billardstock darauf.
    »Bei psychisch Kranken ist das moralische Empfinden weniger intakt als bei Gesunden«, sagte er.
    Du bist genau der Richtige, um über intaktes moralisches Empfinden zu reden, dachte Ferguson. Er kreidete seinen Billardstock ein und beugte sich über den Tisch. Ferguson und der Richter spielten bis tief in die Nacht.
    *
    Margaret war wach, als McCrink in die Wohnung zurückkehrte. Sie nahm eine Bibel vom Regal und legte sie offen auf das Bett neben sich.
    »Die Bibel?«, sagte er.
    »Ich konnte an nichts anderes denken.«
    »Mein Vater hat jede Nacht aus der Bibel vorgelesen.«
    »Hast du je über den Namen Holywell nachgedacht? Ich frag mich, ob es da eine heilige Quelle gibt?«
    Ein Ort, getränkt mit Glauben. Von den Ästen hängen Lumpen, wundersame Orden und Perlen von Rosenkränzen. Ein Ort, den die Lahmen wie die Unfruchtbaren aufsuchen, um zu beten.
    »Ich bin mir nicht so sicher, ob Heilung so einfach zu haben ist.«
    »Nein. Da hast du wahrscheinlich recht.«
    »Wo wurde Pearl beerdigt?«
    »Auf dem Meeting House-Friedhof.«
    »Und wir wissen, wo Robert beerdigt werden wird.«
    In einem Garten hinter dem Gefängnis an der Crumlin Road, auf seine Leiche wird ungelöschter Kalk geschüttet werden. Ein Garten ohne Sonne, umgeben von hohen Mauern.
    »Man sagt, dass in Gärten, in denen Mörder beerdigt werden, nichts wächst«, sagte Margaret.
    Die Namen von Mördern wurden in Gefängnisakten dokumentiert. Ellis. Hanratty. McGladdery. Hinrichtung durch Erhängen gab den Namen ein Gewicht, das sie im Leben nicht gehabt hatten, eine Bedeutung. Man fühlte das Timbre des Todes, wenn man die Namen aussprach.
    »Sie sollten die Leiche der Mutter aushändigen.«
    »Würde sie sie denn annehmen?«
    Er trat ans Fenster. Die Straßen waren noch immer von Nebel verhüllt. Der launische Charakter dörflicher Straßenbilder. Villen längst verstorbener Kaufleute.
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