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Rendezvous

Rendezvous

Titel: Rendezvous
Autoren: Amanda Quick
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Graystone hielt sie eindeutig für einen ungezogenen Fratz. Sie konnte nur hoffen, dass er sie nicht zudem noch für einen Dieb hielt.
    »Nein, Mylord. Ich möchte Claudia bestimmt keine Sorgen bereiten. Guten Abend, Sir.« Hocherhobenen Hauptes wollte sie um ihn herumgehen. Er rührte sich nicht von der Stelle, und sie war gezwungen, direkt vor ihm anzuhalten. Ihr fiel auf, dass er extrem groß war. Als sie so dicht vor ihm stand, fühlte sie sich von der unnachgiebigen Kraft überwältigt, die von ihm ausging. Augusta sammelte ihren Mut zusammen. »Sie haben doch gewiss nicht die Absicht, mich daran zu hindern, in mein Schlafzimmer zurückzukehren, Mylord?«
    Graystone zog die Augenbrauen ein wenig hoch. »Ich kann doch nicht zulassen, dass Sie wieder nach oben gehen, ohne das an sich gebracht zu haben, wonach Sie gesucht haben.«
    Augustas Mund wurde trocken. Er konnte unmöglich etwas von Rosalind Morrisseys Tagebuch wissen. »Ich muss sagen, dass ich inzwischen doch recht schläfrig bin, Mylord. Ich glaube, ich werde jetzt wohl doch keine Lektüre mehr brauchen.«
    »Noch nicht einmal das, was Sie in Enfields Schreibtisch vorzufinden hofften?«
    Augusta nahm Zuflucht zu einer aufgebrachten Haltung. »Wie können Sie es wagen anzudeuten, ich hätte versucht, an Lord Enfields Schreibtisch zu kommen? Ich habe es Ihnen doch gesagt — meine Haarnadel ist von selbst in dem Schloss gelandet.«
    »Gestatten Sie, Miss Ballinger.« Graystone zog ein Stück Draht aus der Tasche seines Morgenmantels und führte es behutsam in das Schreibtischschloss ein. Ein leises und doch deutlich vernehmbares Klicken war zu hören.
    Augusta beobachtete voller Erstaunen, wie er die oberste Schublade aufzog und den Inhalt musterte. Dann bedeutete er ihr mit einer lässigen Handbewegung, das zu suchen, worauf sie es abgesehen hatte.
    Augusta beäugte wachsam den Earl, biss sich ein paar angespannte Sekunden lang auf die Unterlippe und beugte sich dann hastig vor und begann, in der Schublade herumzuwühlen. Unter ein paar großen Blättern fand sie das kleine Buch mit dem Ledereinband. Sie schnappte es sich augenblicklich.
    »Mylord, ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Augusta presste das Tagebuch an sich und blickte auf, um Graystone in die Augen zu sehen.
    Die schroffen Züge des Earl erschienen in dem flackernden Kerzenschein noch grimmiger als gewöhnlich. Er war an gewöhnlichen Maßstäben gemessen keineswegs ein gutaussehender Mann, doch von dem Augenblick an, in dem ihr Onkel ihn ihr zu Beginn der Saison vorgestellt hatte, hatte Augusta ihn auf seltsame Art und Weise unwiderstehlich gefunden.
    In seinen reservierten grauen Augen stand etwas, was in ihr den Wunsch wachrief, ihn zu berühren, obwohl sie wusste, dass er es ihr wahrscheinlich nicht danken würde. Sie wusste, dass ein Teil dieser Anziehungskraft nicht über die bloße weibliche Neugier hinausging. Sie nahm eine verschlossene Tür tief im Innern dieses Mannes wahr, und sie verzehrte sich danach, diese Tür zu öffnen. Sie wusste nicht, warum.
    Er war wirklich absolut nicht ihr Typ. Eigentlich hätte sie Graystone außerordentlich langweilig finden müssen. Statt dessen empfand sie ihn als bedrohlich verwirrend, geradezu enigmatisch.
    Graystones dichtes, dunkles Haar wies silberne Strähnen auf. Er war Mitte Dreißig, doch er hätte mühelos vierzig Jahre alt sein können, aber nicht etwa, weil irgend etwas an seinem Gesicht oder seiner Gestalt weich gewirkt hätte, ganz im Gegenteil. Er strahlte eine gewisse Härte und Nüchternheit aus, die von zuviel Erfahrung und von zuviel Wissen sprachen. Das war ein seltsames Gebaren für einen Altphilologen, machte sie sich klar. Ein weiterer Aspekt, der ihn nur um so rätselhafter wirken ließ.
    In seinem Morgenmantel, den er jetzt trug, war deutlich zu erkennen, dass Graystones breite Schultern und sein schmaler und doch kräftiger Körperbau echt und nicht etwa seinem Schneider zu verdanken waren. Er besaß die Geschmeidigkeit, die Anmut und die Kraft eines Raubtiers, und diese Ausstrahlung ließ einen seltsamen Schauer über Augustas Rücken laufen. Nie war ihr ein Mann begegnet, der dieselbe Wirkung wie Graystone auf sie hatte.
    Sie verstand nicht, warum sie sich von ihm angezogen fühlte. Von ihrem Temperament und ihrem Auftreten her waren sie absolute Gegensätze. So oder so war die Wirkung, die er auf sie hatte, reichlich unnütz, dessen war sie sich sicher. Diese sinnliche Faszination, dieser Schauer der Erregung, der
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