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Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)

Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)

Titel: Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
Autoren: Savannah Russe
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sowie eine gelegentliche Müdigkeit gegenüber dem Lauf der Welt ein. Meine Hormone allerdings gebärdeten sich stets wie die eines Teenagers, und gegenüber Männern war mein Reifeprozess eindeutig stagniert. Die meiste Zeit über gelang es mir, meine Geilheit zu unterdrücken und mich mit der Aura einer kultivierten Städterin zu umgeben. Das bedeutete jedoch, dass ich nicht länger so jung aussehen konnte noch wollte.
    Ganz im Gegensatz zu meiner Mutter. Sie wirkt so taufrisch und blutjung, dass sie problemlos als meine jüngere Schwester durchgeht. Dabei ist sie weder naiv noch unschuldig, vielmehr ist sie eine Meisterin der Täuschung und Maskerade und war schon immer eine der mächtigsten Frauen der Welt. Marozia Urban – oder Mar-Mar, wie sie von mir und ihren engsten Freunden genannt wird – musste mindestens tausend Jahre alt sein. Ich kannte ihr genaues Geburtsdatum nicht, da sie nicht sonderlich gesprächig war, wenn es um ihre Vergangenheit ging. Ich hatte auch keine Ahnung, wer meine Mutter zu einem Vampir gemacht hatte. Das wenige, was ich über sie wusste, hatte ich in Geschichtsbüchern gelesen, und mit ziemlicher Sicherheit entsprach nichts davon der Wahrheit. Die historischen Darstellungen berichten, dass Marozia im Jahr 938 von einem ihrer Söhne in einem Schloss in Rom eingesperrt worden war und in Gefangenschaft verstarb. Das klingt herrlich düster wie in einem Schauerroman – ist aber nichts als blanker Unsinn. Sie starb nicht, sondern wurde zu einem Vampir. Sie lebte weiter und bandelte im Rom des sechzehnten Jahrhunderts schließlich mit meinem Vater an: Giambattista Castagna, später Papst Urban VII. Okay, so richtig Papst ist er nie geworden, er starb noch vor seiner offiziellen Einsetzung.
    Will Mar-Mar darüber mit mir sprechen?, fragte ich mich. Wenn ja, warum ausgerechnet jetzt, wenn wir möglicherweise kurz vor einem neuen Terrorangriff standen? Der plötzliche Tod Giambattista Castagnas hatte vor vierhundert Jahren stattgefunden. Obwohl meine Mutter bei diesem Thema noch immer blass wurde und vor Wut zu zittern begann und obwohl ich die Wahrheit darüber erfahren wollte, was am 27. September 1590 im Vatikan geschehen war, war jetzt weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für ein solches Gespräch. Ich musste für die Sicherheit der amerikanischen Bürger sorgen und eine nationale Katastrophe verhindern. Wen kümmerte da schon der Tod meines Vaters? Wie Carl Sandburg einst schrieb: Die Vergangenheit ist ein Eimer voller Asche.

Kapitel 2
    Et ignotas animum dimittit in artes.
    Und unwissend, wandte er seinen Geist
    den rätselhaften Dingen zu.
    Ovid

    I ch winkte ein Taxi herbei, erreichte um halb sieben die Fifth Avenue 175 und rannte in wilder Hast in das Flatiron-Gebäude. Da ich keine Geduld für die aufreizend langsamen Aufzüge hatte, nahm ich die Treppen bis in den dritten Stock, sauste auf den Eingang von ABC Publishing zu, stürzte durch die Bürotüren, die krachend gegen die Wand flogen – und blieb wie angewurzelt stehen.
    Ein Unbekannter fläzte sich auf einem Stuhl gegenüber meinen Kollegen, die sich um den großen Konferenztisch versammelt hatten. Seine Haare waren lang und lockig, sein Mund ein roter Schlitz unter einem dunklen Schnurrbart. Mit einer aufreizenden Lässigkeit wandte er den Kopf in meine Richtung und sah mich an. In seinen ebenholzschwarzen Augen blitzte es vergnügt auf. Falls der rebellische Prometheus wieder auf die Erde hinabgestiegen war, saß er mir in diesem Moment gegenüber: gebieterisch, gut gebaut, lässig arrogant und ganz zweifelsohne einer der bestaussehenden Typen, die ich in meinem ganzen Leben je gesehen hatte, alle vierhundert Jahre mit eingerechnet.
    Ach du Scheiße, dachte ich im Stillen. Ich hatte mir nach dem Spaziergang mit Jade nicht einmal die Haare gekämmt, geschweige denn irgendwelches Make-up aufgetragen. Ich sah blass und zerzaust aus, was ich sonst nur tat, wenn ich in einem alten T-Shirt und meiner Schlafanzughose mit Cowboy-Motiven in meiner Wohnung herumlungerte. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf machte ich mir meinen phänomenalen Witz und scharfsinnigen Umgang mit Bonmots zunutze, sah dem gutaussehenden Typen direkt in die Augen und fragte in einer lauten, für New Yorker typischen Stimme (die wir benutzen, um uns über große Menschenmengen und Straßenlärm hinweg bemerkbar zu machen): »Wer zum Teufel sind Sie?«
    Der Typ warf mir ein Haifisch-Grinsen zu und entblößte dabei spitze, weiße Zähne.
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