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Rendezvous in Kentucky

Titel: Rendezvous in Kentucky
Autoren: Jude Deveraux
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langer Zeit gelernt, daß ein Überraschungsangriff, wenn sich die müden Frauen und Männer von den Anstrengungen des Tages erholten, die besten Aussichten auf Erfolg bot. Die Siedler waren in diesen Momenten so wehrlos. Die Männer, die vor dem Lager Wache hielten, waren leicht zu überwältigen gewesen, sie lagen jetzt mit sauber durchschnittenen Kehlen leblos da. Übrig blieben die Frauen, ein paar Halbwüchsige und die Kinder, die die wertvollste Beute des Tages darstellen würden. Zwei Krieger wurden ausgeschickt, um sie zu fesseln.
    Linnet war, wie alle anderen, vor Schreck wie gelähmt. Ein gurgelnder Schrei riß sie aus der Erstarrung, und sie wirbelte herum. Prudie James stürzte zu Boden. Die Leute rannten wild durcheinander, um den Indianern zu entrinnen, die überall zu sein schienen. Doch alle Bemühungen waren zwecklos.
    Linnet sah, wie ihre Mutter vorwärts taumelte. Linnet streckte die Arme aus und begann zu laufen. Wenn sie nur ihre Mutter auffangen, sie in den Armen halten könnte — dann wäre alles gut. »Mutter!« schrie sie.
    Irgend etwas hemmte ihren rasenden Lauf, sie stolperte und fiel. Der harte Sturz raubte ihr fast die Sinne. Benommen versuchte sie wieder auf die Füße zu kommen. Als sie den Kopf drehte, schmeckte sie das Blut, das aus ihrer aufgeschlagenen Lippe rann. Ihre Mutter und Mrs. Watson lagen still neben dem Feuer auf dem Boden. Es schien, als würden sie schlafen, doch die zähe, blutrote Masse neben ihren Köpfen zeugte von der Tragödie, die sich gerade abgespielt hatte.
    »Linnet! Linnet!« Schreie ertönten in ihrem Rücken, als eine rauhe Hand sie grob auf die Füße stellte und sie zu den Kindern zerrte. Der kleine Ulysses Johnson rannte zu ihr und schlang seine Arme um ihre Beine. Seine Tränen durchnäßten ihren Rock, während der kleine Körper erbärmlich zitterte. Einer der Indianer zog ihn von ihr weg. Als das Kind hinfiel, verdrehte der Mann den Arm des Jungen so, daß der Kleine vor Schmerz aufschrie.
    »Nein!« Linnet lief zu Ulysses, kniete vor ihm nieder und wischte zart den Schmutz von seinem Gesicht. »Sie wollen uns mitnehmen. Wirst du tapfer sein, Uly? Wir werden zusammenbleiben, egal, was auch passiert. Ich glaube, wenn wir ihnen gehorchen, werden sie uns nicht weh tun. Hast du verstanden, Uly?«
    »Ja«, kam die jämmerliche Antwort. »Meine Ma...«
    »Ich weiß...« Ein Indianer zog Linnet auf die Beine, bog ihre Hände auf den Rücken und fesselte sie mit einem rauhen Hanfseil. Sie versuchte nicht auf das Bild des Grauens zu ihrer Rechten zu schauen — dort lag der Körper ihrer Mutter —, oder an ihren Vater zu denken, der Wache gehalten hatte. Sie richtete ihre Augen fest auf die sechs aneinandergefesselten Kinder, die vor ihr standen.
    In ein paar Minuten hatte sich ihr Leben dramatisch verändert. Patsy Gallagher fiel und riß Uly mit sich. Sie schrie auf, als ein Indianer sie an den Handfesseln hochzog, weil ihr die Lederriemen ins Fleisch schnitten. Ulysses fing wieder an zu weinen. Die Kinder starrten auf die Feuer, die die Indianer inzwischen gelegt hatten, und auf die blutigen Leichen ihrer Eltern.
    Linnet fing an zu singen. Leise zuerst, aber sehr eindringlich, so daß die Kinder nach und nach in das Lied einfielen: »Ein feste Burg ist unser Gott...«
    Sie gingen los, stolperten, fielen oft hin, während sie langsam in die Wälder marschierten — aneinandergebunden zu einer schicksalhaften Kette.
    Linnet hielt Ulysses in ihren Armen. Das Kind war in tiefen, erschöpften Schlaf gefallen. Sie waren seit drei Tagen unterwegs, hatten kaum gerastet und noch weniger zu essen bekommen. Die beiden Kleinsten sahen aus, als ob sie nicht mehr lange durchhalten würden. Linnet hatte den Anführer der Indianer angefleht, den Jungen auf dem Rücken tragen zu dürfen. Ihre Füße waren zerschunden und blutig. Sie hatte Hunger, weil sie die Hälfte ihres Maisbreis Ulysses gegeben hatte. Aber trotzdem hatte der Junge vor Hunger gewimmert. Linnet strich über seine Stirn — sie war fiebrigheiß.
    Fünf Indianer bewachten die kleine Gruppe. Sie benahmen sich sehr herrisch und erwarteten, daß man ihre Befehle genau befolgte. Als Linnet ihre Schritte verlangsamt hatte, weil sie durch das Gewicht des Fünfjährigen auf ihrem
    Rücken kaum laufen konnte, hatten sie sie mit spitzen Stöcken vorwärts getrieben. Jetzt war sie zu erschöpft, um Schlaf zu finden. Jede Faser ihres Körpers schmerzte.
    Ein Indianer drehte sich nach ihr um. Hastig schloß sie die
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