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RENAS VERSPRECHEN (German Edition)

RENAS VERSPRECHEN (German Edition)

Titel: RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Autoren: Rena Kornreich Gelissen , Heather Dune Macadam
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lang! Nicht mehr lang!“, rufen sie uns zu, als wir vorbeikommen. Wir haben kein Radio im Lager; wir sind abgeschnitten von den Nachrichten aus der Welt. Wir starren diese Männer mit ihren wilden Augen an; sie wirken nicht irre, nur voller Freiheitsdrang. „Nicht mehr lang! Nicht mehr lang!“ Können sie Recht haben? Wie lange ist nicht mehr lang?
    Die SS führt uns einen Berg hinauf. Der Wagen ist schwer, und wir strengen unsere Muskeln an, ihn in Bewegung zu hal- ten. Es sieht so aus, als hätten sie einen Begräbnisplatz ausge sucht, der schwer zu erreichen ist.
    „Ihr werdet sie hier begraben.“ Die Wachen bleiben stehen und zeigen auf das Gelände, in dem wir graben sollen, dann entfernen sie sich, um auf ihre Gewehre gestützt auszuruhen.
    Ich sto ss e meine Schaufel in die Erde. Sie ist hart wie Stein. Wir versuchen tief zu graben, wie es sich gehört, aber es ist unmöglich. Ich steige in das Loch, um den Boden auszugra ben. Doch die Erde ist so u nnachgiebig, da ss es Stunden dau ert, die Gräber auszuheben. Als ich im Loch stehe und versu che noch ein wenig tiefer zu graben, geht mir durch den Kopf, da ss die SS uns einfach erschie ss en könnte, und wir in unsere selbstgeschaufelten Gräber fallen würden.
    „Helft mir raus“, rufe ich den Mädchen oben zu. Eine Hand streckt sich mir entgegen; es ist meine Schwester, die mich aus dem Graben herauszieht.
    „Ich sehe dich nicht gern da unten“, murmelt sie.
    „Ich mag es auch nicht.“ Und ich meine das auch. Das ist zu schwer für uns, und wir sind zu schwach. Aber schlie ss lich bekommen wir doch alle Gräber fert ig, und die Leichen wer den in unbezeichneten Stätten z ur letzten Ruhe gelegt. Wir ste hen auf dem Hügel, die Sonne versinkt langsam am Horizont.
    „La ss t uns ein Gebet sprechen für die Frauen, die wir begra ben haben“, flüstere ich. Einstimmiges Nicken. Über den Hü geln aus frischer Erde sagen wir ein Gebet. Die Wachen be merken unsere Stille, unser Schweigen nicht. Mir ist es sehr wichtig, diesen Frauen, die gestorben sind, etwas geweihten Boden in Anerkennung ihres Lebens zu geben. Das Gebet gibt uns ein gutes Gefühl, und das kommt selten genug vor. Müde gehen wir den Hügel hinab und zurück ins Lager. Wir haben heute hart gearbeitet und nur fünfzehn Frauen beerdigt, und der Haufen der Leichen, die noch im Lager sind, sieht trotz unserer Anstrengungen noch nicht kleiner aus. Es tut mir leid, da ss ich uns freiwillig zu dieser Arbeit gemeldet habe.
     
    „Meinst du, ich sollte heimlich ein paar Kartoffeln von dem Haufen nehmen, damit wir etwas zu essen haben?“, frage ich Dina eines Sonntagnachmittags. Die Portionen werden kleiner, und wir können nicht einmal mehr damit rechnen, jeden Tag sowohl Brot ab auch Suppe zu bekommen.
    „Ich habe gehört, dass die Lagerälteste ein Mädchen umgebracht hat, weil sie eine Kartoffel stahl, als sie hinausging um Kohle zu holen; sie lie ss das Mädchen den Eimer ausleeren, und das war’s dann. Sie trat auf das Mädchen ein, bis sie zu Boden fiel, warf ein Brett auf sie drauf und sprang dann auf das Brett, bis das Mädchen tot war“, erzählt mir jemand.
    „O mein Gott.“
    „Mach nichts, was die Lagerälteste wütend macht“, fügt ein anderes Mädchen hinzu. „ Sie hat ihren Ehemann umge bracht und auch ihre Schwiegereltern. Sie ist wahnsinnig.“
    Mich schaudert, aber ich bin noch immer von dem Gedan ken besessen, zwei Kartoffeln zu ergattern, ohne dabei er wischt zu werden. Ich kann das besser als das Mädchen, das jetzt tot ist. Ich wei ss , da ss ich das kann.
    Der Leichenhaufen wird und wird nicht weniger. In der er sten Woche begraben wir über achtzig Leichen, aber es sind wieder neue dazugekommen.
    Die SS-Männer, die uns zu der Beerdigungsstelle bringen, sind alt, müde und unscheinbar. Und wir fürchten sie nicht so wie wir die jüngeren, kräftigeren SS-Männer in Auschwitz-Birkenau gefürchtet haben. „Ich denke, wir sollten uns einen Plan ausdenken, sie zu überwältigen. La ss t sie uns bewu ss tlos schla gen“, schlägt ein Mädchen in unserem Kommando vor.
    „Wir könnten ihnen mit unseren Schaufeln auf den Kopf schlagen und sie in ein wirklich tiefes Loch werfen, aus dem sie nicht mehr herauskommen. Dann könnten wir fliehen!“
    „Jah!“ Ihre Augen tanzen beim Gedanken an den Umsturz,
    „Ich könnte keinen umbringen“, flüstere ich.
    „Nicht umbringen - wir würden sie nur betäuben.“
    „Überlegt mal.“ Ich schaue in ihre
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